Hamas kündigt Vergeltung für den Tod ihres Führers Nizar Rayan an

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Veröffentlicht: 18:45, 2. Jan. 2009 (CET)
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Gaza-Stadt (Gazastreifen) / Tel Aviv (Israel), 02.01.2009 – Das neue Jahr 2009 beginnt im Nahen Osten so, wie das alte zu Ende ging. Gewalt auf beiden Seiten der Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen. Die israelische Luftwaffe setzte ihre Angriffe auf Ziele im Gazastreifen fort, während die dort regierende Hamas weiterhin israelisches Gebiet mit Raketen und Mörsergranaten angriff.

Am Donnerstag hatte eine tonnenschwere Bombe ein Gebäude getroffen, in dem sich einer der zehn führenden Köpfe der Hamas aufhielt: Nizar Rayan starb zusammen mit seinen vier Frauen und elf seiner Kinder. Hamas-Sprecher Ismail Radwan drohte Israel mit Vergeltung für die Tötung eines der Führungsmitglieder der Hamas. Es werde Selbstmordanschläge und weitere Angriffe auf Ziele in Israel geben. Rayan (46) galt als politisch sehr einflussreich innerhalb der Hamasbewegung und gehörte zu den Befürwortern einer Ausweitung von Selbstmordanschlägen gegen Israel. Außerdem gehörte er zu den entschiedensten Gegnern der Fatah und befürwortete die Gewaltanwendung gegen die palästinensische Bruderorganisation im Kampf um die Macht in Gaza im Januar 2006. Laut Haaretz hatte Rayan im Oktober 2001 seinen eigenen Sohn zu einem Selbstmordanschlag in die ehemalige Siedlung Elei Sinai im Gaza-Streifen geschickt. Zwei israelische Siedler starben bei dem Attentat. Eine Äußerung des stellvertretenden israelischen Ministerpräsidenten Haim Ramon war von Medien so interpretiert worden, dass die Tötung Rayans ein geplantes Unternehmen gewesen sei und Israel zur Taktik der direkten persönlichen Tötung von Hamasaktivisten zurückgekehrt sei. Er sagte: „Und heute haben wir es geschafft, einen ihrer Anführer zu treffen.“ Die israelische Armee (IDF=Israelian Defence Forces) wies jedoch die Behauptung zurück, Israel sei zur Politik der gezielten Tötung von Hamasführern zurückgekehrt. Das Haus Rayans sei ein Ziel gewesen, das verdächtig sei, Waffen zu beherbergen, und sei deshalb routinemäßig ausgewählt worden. Bei dem Angriff auf das Haus Rayans waren außer seiner Familie weitere elf Menschen getötet und 30 verletzt worden. Nach israelischen Armeeangaben habe man die Bewohner des betreffenden Gebäudes vor dem Angriff per SMS vor dem bevorstehenden Angriff gewarnt und dazu aufgefordert, das Gebäude zu verlassen. Israel habe das Gebäude angegriffen, weil es zur Hamas-Infrastruktur gehöre und als Lager für Waffen und Munition gedient habe.

Die Warnung von Hausbewohnern im Gazastreifen vor einem Angriff per SMS oder Voicemail gehört nach Angaben der israelischen Zeitung Haaretz zu einer neuen IDF-Taktik. Danach bestätigten Palästinenser, dass in einigen Fällen zehn Minuten vor Angriffen Warnungen auf Mobiltelefonen eingingen, die von der israelischen Armee stammten, dass Angriffe auf Gebäude bevorstünden, in denen Waffen gelagert würden. Wenn die Bewohner solche Häuser nicht verließen, hätten sie die Konsequenzen zu tragen. Manchmal würden auch schwächere Sprengsätze auf solche Häuser geworfen, bevor die eigentlich zerstörerische Bombe mit großer Sprengkraft eingesetzt werde, um die Bewohner zum Verlassen des Hauses zu veranlassen. Auch im Fall des getöteten Hamasführers Rayan sei diese Technik des „roof knocking“ (deutsch: „am Dach anklopfen“) angewandt worden. Dieser habe sich zusammen mit seiner Familie jedoch geweigert, das Gebäude zu verlassen.

Am Donnerstag war auch eine Moschee in der palästinensischen Ortschaft Dschabaliya angegriffen worden. Die Moschee soll als Unterschlupf der Hamas gedient haben. Noch vor dem Morgengrauen am heutigen Freitag sollen Angriffe auf 15 Häuser von Hamasaktivisten geflogen worden sein, in denen nach Armeeangaben Waffen versteckt worden sein sollen. Laut IDF wurden insgesamt 20 Ziele bombardiert. Auch hierbei soll die Technik des „roof knocking“ angewandt worden sein: Entweder wurden Bewohner telefonisch gewarnt, oder ein leichterer Sprengsatz wurde vorher abgeworfen. Bei den Angriffen wurden nach Angaben der palästinensischen Gesundheitsbehörden sieben Palästinenser getötet und zwölf verletzt. Unter den Getöteten waren fünf Kinder. Die Hamas schoss mindestens sieben Raketen auf Israel ab. Dabei schlugen zwei Raketen in der südisraelischen Stadt Askalon ein und verletzten zwei Israelis.

Insgesamt beläuft sich die Zahl der Getöteten seit Beginn der israelischen Luftoffensive am Samstag auf 422 Menschen. Die Zahl der Verletzten liegt nach palästinensischen Angaben bei 2.200; davon befinden sich laut der gleichen Quelle noch 380 Menschen in Lebensgefahr.

Unterdessen gibt es weitere Anzeichen für eine möglicherweise bevorstehende Bodenoffensive. Am Freitag ließ Israel 400 Ausländer über den Grenzübergang Eres aus dem Gazastreifen ausreisen. Der israelische Rundfunk meldete, bei den Personen habe es sich vorwiegend um Ehefrauen von Palästinensern gehandelt, die aus Russland, der Ukraine oder Polen stammten. Haaretz vermutet, die IDF-Bodentruppen warteten nur noch auf den Einsatzbefehl, um in den Gazastreifen einzurücken, wobei die Armee eine kurze, aber heftige Bodenoffensive befürworte.

Kleine Chronik der Gaza-Krise

In der Wikipedia gibt es den weiterführenden Artikel „Operation Gegossenes Blei“.

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Quellen