Tag 5 der Angriffe auf Gaza – Israel lehnt Waffenstillstand vorerst ab

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Veröffentlicht: 17:53, 31. Dez. 2008 (CET)
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Gaza-Stadt (Gazastreifen) / Tel Aviv (Israel), 31.12.2008 – Israelische Kampfflugzeuge setzten auch am fünften Tag nach dem Ausbruch der Kampfhandlungen am vergangenen Samstag ihre Angriffe auf Ziele im Gazastreifen fort. Eine Forderung der EU-Außenminister nach einer sofortigen und anhaltenden Waffenruhe lehnte das israelische Sicherheitskabinett vorerst ab. Seit Mitternacht wurden nach Armeeangaben insgesamt 35 Angriffe gegen Ziele im Gazastreifen geflogen. Dabei wurden erneut Ministerien der Hamas sowie Schmuggeltunnel an der Grenze zu Ägypten bombardiert. Die Tunnel dienten nach israelischen Angaben dem Transport von Treibstoff sowie auch dem Hereinschmuggeln von Waffen in den Gazastreifen. Wie Haaretz berichtet, entstand durch die Bombardierung eines Treibstofflagers innerhalb eines der Tunnel eine gewaltige Explosion. Bomben zerstörten auch ein Büro des Hamasführers Ismail Haniyya, das nach israelischen Angaben unter anderem der Planung, Finanzierung und Unterstützung terroristischer Aktivitäten diene. Außerdem sollen ein Waffenarsenal, ein Militärlager sowie ein Raketenwerfer getroffen worden sein.

Nach Angaben der Gesundheitsbehörden in Gaza (Stadt) beläuft sich die Zahl der Toten durch die israelischen Luftangriffe der Operation „Cast Lead“ („gegossenes Blei“) inzwischen auf insgesamt 384, darunter laut UNO-Angaben 62 Zivilisten. Rund 800 Menschen sollen verletzt worden sein. Nach palästinensischen Angaben sind unter den Toten 36 Kinder sowie neun Frauen.

Von Seiten militanter Palästinenser wurde weiterhin israelisches Territorium mit Raketen und Mörsergranaten beschossen. Dabei wurden die israelischen Städte Askalon und erstmals auch Beerscheba getroffen, 37 Kilometer vom Gazastreifen entfernt (nach anderen Angaben liegt die Stadt 46 Kilometer vom Gazastreifen entfernt). Die Katjuscha-Rakete traf einen Kindergarten, in dem sich zum Zeitpunkt des Einschlages jedoch niemand aufhielt. Die Einwohner der Ortschaften wurden von israelischen Behörden angewiesen, sich in geschützten Bereichen aufzuhalten. Öffentliche Versammlungen wurden verboten. Der Schulunterricht in Beerscheba wurde für die nächsten Tage ausgesetzt. Ein entsprechender Beschluss wurde auch für alle Ortschaften erlassen, die sich innerhalb einer Zone von 30 Kilometern vom Gazastreifen entfernt befinden. Laut Haaretz wurde israelisches Gebiet am Mittwoch von insgesamt 40 Raketen getroffen. Seit dem vergangenen Samstag beläuft sich die Zahl von Raketen, die auf Israel abgeschossen wurden, auf einige hundert. Dabei wurden bisher vier Menschen getötet. Die Hamas übernahm die Verantwortung für die Angriffe auf Beerscheba. Die Organisation, die im Gazastreifen die Regierungsgewalt ausübt, erklärte, sie werde noch weiter vom Gazastreifen entfernte Ortschaften angreifen, wenn Israel seine Luftangriffe nicht beende.

Ein Ende der Kampfhandlungen ist vorerst nicht abzusehen. Ein israelischer Regierungssprecher sagte zu der unter anderem von der Europäischen Union vorgebrachten Forderung nach einem Waffenstillstand: „Es ist nicht realistisch zu erwarten, dass Israel einseitig das Feuer einstellt - ohne einen Weg, dass die Hamas das Schießen und den Terror einstellt.“ In einer Erklärung der EU-Außenminister vom Dienstagabend hatte es geheißen: „Es gibt keine militärische Lösung im israelisch-palästinensischen Konflikt.“ Israel wurde aufgefordert, die Grenzübergänge zum Gazastreifen dauerhaft zu öffnen, damit Hilfslieferungen in den Gazastreifen gelangen könnten. An die Hamas erging die Aufforderung, sofort und bedingungslos die Raketenangriffe auf Israel einzustellen.

Nach Ansicht der israelischen Zeitung Haaretz ist der Verlauf der kriegerischen Auseinandersetzungen bisher für die Hamas zumindest auf diplomatischer Ebene als Erfolg zu werten. Ägypten ist in den Augen der arabischen Öffentlichkeit diskreditiert. Die Hamas selbst wird, wie und wann auch immer ein Waffenstillstand irgendwann erreicht werden wird, als eine selbstständige Regierung im Gazastreifen angesehen werden, obwohl der Gazastreifen formell doch zum Territorium der Palästinensischen Autonomiebehörde gehört. Syrien und der Iran unterstützen offen die Hamas, wodurch sich die Machtbilanz im Nahen Osten zu ihren Gunsten verschiebt.

In der arabischen Welt werden kritische Stimmen gegenüber Ägypten immer lauter. Ägypten wird inzwischen bereits aufgefordert, die Grenze zum Gazastreifen auf ägyptischer Seite zu öffnen, so Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah im libanesischen Fernsehen. In Ägypten erhebt die radikalislamische Moslem-Bruderschaft die gleiche Forderung. Ebenso äußerte sich Hamasführer Ismail Haniyya. Das ägyptische Angebot, palästinensische Verwundete kostenlos in ägyptischen Krankenhäusern behandeln zu lassen, lehnt er jedoch ab: „Ägypten sollte alle Palästinenser ohne wenn und aber einreisen lassen. Nur Kranke und Verletzte – das lasse ich nicht zu.“

Als Beispiel für die verbale „Kriegführung in den Medien“ mag der arabische Satellitensender „Al-Huda“ dienen. Dieser verbreitet laut Angaben des Spiegel in seiner Onlineausgabe besonders wortradikale islamistische Propaganda und zielt dabei offenbar auch auf das westeuropäische Publikum. Im Rahmen einer Talkshow wurde ein islamistischer Prediger aus London zugeschaltet, der alle Nichtmoslems aufforderte, nicht mehr Israel zu unterstützen. Der Spiegel zitiert den Prediger mit den Worten „Wir Moslems hatten einst die Welt beherrscht und wir warnen das Abendland, das Israel in all seinen Verbrechen unterstützt, dass wir eines Tages das islamische Kalifat wiedererrichten werden. Oh ihr Ungläubigen, stellt euch darauf ein.“

Das extreme Beispiel reiht sich in eine Flut antiisraelischer Propaganda ein, die die gemäßigten arabischen Regierungen unter Druck setzen soll. Der ägyptische Präsident Mubarak hat dabei einen besonders schweren Stand. Arabische und iranische Medien werfen ihm sogar offen Verrat vor. So soll er von der israelischen Außenministerin Tzipi Livni persönlich die Information erhalten haben, dass ein israelischer Angriff auf Gaza unmittelbar bevor stehe, diese Information jedoch nicht an die Palästinenser weitergeleitet haben.

Kleine Chronik der Gaza-Krise

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Quellen