Deutschland: Kanzleramt und Wirtschaftsministerium stoppen Mindestlohn vorerst

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Veröffentlicht: 13:46, 8. Feb. 2008 (CET)
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Olaf Scholz kämpft für den Mindestlohn

Berlin (Deutschland), 08.02.2008 – Bundesarbeitsminister Olaf Scholz möchte Mindestlöhne für alle Branchen in Deutschland. Er möchte, dass es keine weißen Flecken mehr bei Lohnuntergrenzen gibt.

Daher hatte Olaf Scholz schon kurz nach seinem Amtsantritt am 21. November 2007 angekündigt, die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen für einen flächendeckenden Mindestlohn in Deutschland schaffen zu wollen. Durch eine Neuregelung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG) sollen weitere Branchen die Möglichkeit erhalten, tarifvertraglich vereinbarte Mindestlöhne für allgemeinverbindlich zu erklären. In Branchen mit niedriger Tarifbindung sollten Mindestlöhne durch eine Belebung des Gesetzes über Mindestarbeitsbedingungen von 1952 erreicht werden. Der Koalitionsausschuss hat sich am 19. Juni 2007 auf eine Modernisierung des Gesetzes über die Mindestarbeitsbedingungen von 1952 verständigt.

Schon als Bundesarbeitsminister Olaf Scholz den von seinem Vorgänger Franz Müntefering vorbereiteten Mindestlohn im Postbereich durchgeboxt hatte, kam Widerstand von der Union. Die Union fühlte sich Mitte Dezember 2007 überfahren, gab jedoch schließlich ihre Zustimmung.

Olaf Scholz hatte seine beiden Gesetzentwürfe schon Mitte Januar 2008 in die Ressortabstimmung gegeben, um den Mindestlohn bundesweit bis Mitte 2008 zu ermöglichen. Daraus dürfte jetzt erst mal nichts werden, denn sowohl das Bundeskanzleramt als auch das Bundeswirtschaftsministerium haben jetzt Einspruch gegen die beiden Gesetzentwürfe eingelegt.

Der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Walther Otremba verwies in einem der Nachrichtenagentur Reuters vorliegenden Schreiben darauf, dass die beiden Gesetzentwürfe „nach vorläufiger Prüfung schwierige Fragen aufwerfen“. Bereits Mitte Januar 2008 hatte Otremba kritisiert, dass die Gesetzentwürfe erheblich von den Vereinbarungen im Koalitionsausschuss vom 19. Juni 2007 abweichen würden. Er bezweifele, ob der „tiefe Eingriff in die Tarifautonomie durch Verdrängung konkurrierender Tarifverträge überhaupt verfassungsrechtlich“ zulässig sei. Das Wirtschaftsministerium stoppte mit seinem Einspruch die Versendung der Gesetzentwürfe an die Verbände.

Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) sind flächendeckende Mindestlöhne ein Dorn im Auge. Eine für alle Beschäftigten einer Branche festgelegte Lohnuntergrenze schalte den Wettbewerb aus und schädige die Tarifautonomie. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kritisiert, der Wettbewerbsgedanke komme in der aktuellen Mindestlohn-Debatte zu kurz.

Auch das Bundeskanzleramt erhob grundsätzliche Bedenken gegen die Gesetzentwürfe zur Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und zur Aktualisierung des Gesetzes über Mindestarbeitsbedingungen von 1952. SPD-Generalsekretär Hubertus Heil warf der CDU/CSU daraufhin vor, nur „Sand ins Getriebe zu streuen“. Es gebe Anzeichen „für den gleichen Affenzirkus wie beim Postmindestlohn“.

Olaf Scholz zeigte sich derweilen im Südwestrundfunk optimistisch: „Wir kommen bis zum Sommer zu mehr Mindestlöhnen. Das ist dann auch der Durchbruch für einen gesetzlichen Mindestlohn.“ Niemand mit politischem Sachverstand zweifle noch daran, „dass wir in wenigen Jahren einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn haben“.

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt nannte die Gesetzentwürfe zum Mindestlohn in einem Interview mit der Rheinischen Post eine „Ermächtigung zur Abschaffung der Tarifautonomie“. Er zeigte sich erleichtert über den Einspruch des Bundeskanzleramtes und forderte eine komplette Überarbeitung der Mindestlohn-Pläne durch das Bundesarbeitsministerium.

Der Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) Franz-Josef Möllenberg meinte, die Union bekomme nach den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen am 27. Januar 2008 offenbar kalte Füße und versuche nunmehr, die wirtschaftspolitische Debatte wieder zu dominieren.

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Quellen