Massendemonstrationen gegen Wahlbetrug im Iran

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Veröffentlicht: 17:30, 16. Jun. 2009 (CEST)
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Teheran (Iran), 16.06.2009 – Mehrere hunderttausend Menschen haben in Teheran gegen das Ergebnis der Präsidentenwahl vom 12. Juni 2009 demonstriert, obwohl die Regierung zuvor Versammlungen untersagt hatte. Noch am Vormittag des 15. Juni hatte Mir Hossein Mussawi die Demonstration auf dem Platz der Freiheit abgesagt, zu der die Opposition aufgerufen hatte. Das Innenministerium hatte am Samstag Mahmud Ahmadinedschad zum Sieger der Wahl erklärt.

Dieses Ergebnis wurde von den Wahlverlierern angezweifelt, vor allem, weil auch aus Gebieten hervorragende Ergebnisse für den derzeitigen Amtsinhaber gemeldet wurden, die als Hochburgen fur Moussawi galten. So nannte der Iranexperte Karim Sadjadpour vom Carnegie-Institut für internationalen Frieden gegenüber CNN das Beispiel der Provinz Ost-Aserbaidschan. Da Mussawi der Ethnie der Aserbaidschaner angehöre, wäre eine solche Niederlage mit einer Wahlniederlage Barack Obamas gegenüber John McCain unter den Afroamerikanern vergleichbar. Auch die Bekanntgabe des Wahlergebnisses von vierzig Millionen per Hand ausgezählten Stimmen innerhalb von zwei Stunden nach Schließung der Wahlokale lege das Vorhandensein von Unregelmäßigkeiten nahe.

„Wo ist meine Stimme?“, wollen die Demonstranten in der iranischen Hauptstadt seit der Verkündung des Wahlergebnisses wissen. Inzwischen ist in Teheran ein Dokument mit Zahlen im Umlauf, das die von Innenminister Sadeq Mahsudi bekanntgegebenen Zahlen als im voraus angefertigt erscheinen lässt. Diese anonymen Zahlenreihen lassen sich derzeit nicht unabhängig überprüfen. Ihnen zufolge hat Mussawi mit 57,2 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit erhalten und den Amtsinhaber klar auf den zweiten Platz verdrängt.

Auch der frühere Chef der revolutionären Garden, Mohsen Rezai, sowie Mehdi Karroubi erreichten demnach mit mehr als zwei Millionen Stimmen ein weitaus besseres Ergebnis als offiziell ausgewiesen wurde. Rezais Wahlkampfhelfer errechneten, dass auf dem Land Ahmadinedschad und sein größter Konkurrent Mussawi in etwa gleiche Stimmenanteile erreichten und er sowie Karroubi nur wenige Stimmen erhielten. In den kleineren Städten hingegen sei das Bild völlig unterschiedlich gewesen; hier habe Mussawi rund zwei Drittel der Stimmen erhalten. In der Großstädten habe Mussawi einen Stimmenanteil von rund 70 Prozent erhalten, Ähnliches gelte für die Briefwähler aus dem Ausland.

Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte von der iranischen Regierung Aufklärung darüber, ob die Wahl regulär verlaufen sei. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagte vor der Presse, die Bundesregierung sehe mit Sorge nach Teheran. Man habe der iranischen Botschafter einbestellt, um gegen das inakzeptable Vorgehen iranischer Sicherheitskräfte gegen ausländische Journalisten und demonstrierende Studenten zu protestieren. Auch Vertreter von Amnesty International verurteilten den Einsatz der Polizei. Die Organisation verlangte eine Untersuchung der „schockierenden Szenen der Gewalt“. Nach Angaben von AI verhafteten die Behörden während des Wochenendes mehr als 170 Personen.

Die Sprechchöre „Tod dem Diktator", die am Sonntagabend nach Sonnenuntergang dreitausendfach von den Dächern erklangen, erinnerten an die Rufe „Allahu Akbar", die auf Befehl von Ajatollah Chomeini 1979 vor dem Sturz von Schah Mohammad Reza Pahlavi stets am Abend ertönten.

Internationale Medien klagten darüber, dass sie durch iranische Exekutivorgane an der Berichterstattung behindert würden. Die British Broadcasting Corporation teilte mit, dass die Ausstrahlung der Rundfunk- und Fernsehsignale ihres internationalen und der persischen Programmes gestört würden. Davon seien Empfänger in Nahen und Mittleren Osten sowie in Europa betroffen. Man habe als Ursprung dieser Störungen einen Punkt innerhalb der Grenzen des Iran festgestellt, so der britische Fernsehsender. Der Direktor des BBC World Service, Peter Horrocks, bezeichnet diese Maßnahme als einen Versuch der iranischen Behörden, die BBC an der Berichterstattung von den umstrittenen Wahlen zu hindern.

Das Büro des Nachrichtensenders al-Arabiya in Teheran wurde auf Anordnung der Behörden für eine Woche geschlossen. Die Korrespondentin des schwedischen Fernsehens wurde aufgefordert, das Land zu verlassen. Ein Dolmetscher des italienischen Fernsehens wurde geschlagen, ARD-Reporter Peter Mezger wurde in seinem Hotel unter Hausarrest gestellt, dem Stab des ZDF wurde verboten, von den Demonstrationen zu berichten. Al-Jazeera meldete, dass ein Team des spanischen Fernsehens ausgewiesen worden sei. „Wir sind unwillkommene Zeugen“, zitierte man Yolanda Alvarez vom Sender RTVE. Nach ihrer Auffassung verhinderte die Anwesenheit westlicher Medien Repressalien gegenüber den Demonstranten durch Polizeikräfte. Auch dem Korrespondenten al-Jazeeras zufolge wurde die Berichterstattung seit dem Wahltag zunehmend schwieriger. Man dürfe keine Fernsehkamera mehr mit auf die Straße nehmen, und auch ein purer Spaziergang mit einem Mobiltelefon könne zu Problemen führen, sagte der Reporter des Fernsehsenders in Teheran.

Auch das Kommunikationsnetz innerhalb des Landes war eingeschränkt. Die Versendung von SMS-Nachrichten war unterbunden, ebenso eine Reihe von Angeboten im Internet, darunter Facebook und Twitter, die von der Opposition zur Koordinierung ihrer Anhänger genutzt werden. Der Mussawi nahestehenden Tageszeitung Kalameh Sabz wurde das Erscheinen untersagt, nachdem sie berichtet hatte, dass mehr als zehn Millionen Stimmzettel ohne Identifizierungskennzahlen seien und damit deren Authentizität nicht überprüfbar sei.

Unterdessen verlangte Mussawi vom Wächterrat die Annullierung der Wahl. Dieser bestätigte, dass auch der unterlegene Kandidat Mohsen Rezai aufgrund von Unregelmäßigkeiten gegen das Wahlergebnis protestiert habe. Das zwölfköpfige Gremium gab nach der Anweisung durch den geistigen Führer der Islamischen Republik Iran bekannt, innerhalb von zehn Tagen die Vorwürfe untersuchen zu wollen. Der Wahlsieger erklarte indessen, es sei nicht zum Wahlbetrug gekommen, und verglich die Situation auf den Straßen lakonisch mit Ausschreitungen nach Fußballspielen, weil „[m]anche dachten, sie würden gewinnen und dann (…) ärgerlich geworden“ sind.

Der oberste geistliche Führer Irans, der zunächst Ahmadinedschads Wahlsieg als „Fest“ bezeichnete, ordnete inzwischen eine Untersuchung der umstritten Wiederwahl des Amtsinhabers durch den Wächterrat an. Ali Chamene'i forderte Mussawi dazu auf, Beschwerden auf dem Rechtsweg vorzutragen und Ruhe zu bewahren.

Am Vormittag hatte es zunächst geheißen, die Opposition hätte die Demonstration abgesagt. Die Behörden drohten den Demonstranten mit straftrechtlichen Konsequenzen. Später versammelten sich jedoch zehntausende und am Nachmittag hunderttausende von Demonstranten, die unter anderem skandierten: „Mussawi, hole unsere Stimmen zurück!“

Auf seiner Website schrieb Mussawi, er werde trotz des Verbotes der Demonstration auf der Kundgebung erscheinen, um die Teilnehmer zur Ruhe zu ermahnen. Auch der als gemäßigt geltende frühere Präsident Irans zwischen 1997 und 2005, Mohammad Chātamī, unterstützte einen friedliche Protest und bezeichnete in einem Fax die Wahl als Ungerechtigkeit gegenüber dem Volk und der Islamischen Revolution. Er bezeichnet die Proteste als rechtmäßig und forderte Mussawi und dessen Anhänger dazu auf, Ruhe zu bewahren.

Auch am Montag brannten in der iranischen Hauptstadt Reifen und Mülltonnen. Ein Augenzeuge erzählte der Nachrichtenagentur Reuters, Anhänger Ahmadinedschads auf Motorrädern hätten Unterstützer Mussawis mit Stöcken und Ketten angegriffen. Bewaffnete Polizeieinheiten schossen nach offiziellen Angaben in die Luft, um Anhänger Mussawis und Ahmadinedschads auseinanderzuhalten, wobei auch Tränengas verwendet wurde. Ein Augenzeuge berichtete, dass demonstrierende Studenten Steine und Molotowcocktails warfen und Fahrzeuge in Brand steckten. Die Universität der iranischen Hauptstadt war bereits 1999 Schauplatz von Unruhen und gilt als Mittelpunkt für die Reformkräfte.

EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner teilte mit, sie hoffe darauf, dass die Sicherheitskräfte Zurückhaltung zeigten.

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Quellen