Letzter Akt im Justizdrama Horst Arnold: Prozess gegen Lehrerin hat begonnen

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Veröffentlicht: 18:33, 30. Apr. 2013 (CEST)
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Darmstadt (Deutschland), 30.04.2013 – Ein glorreicher Sieg für die Gerechtigkeit war es nicht, als Horst Arnold im Sommer 2011 in einem Wiederaufnahmeverfahren vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen wurde. Nicht nur hatte er seine Haft da längst abgebüßt, nur ein knappes Jahr später starb Arnold. Morgens fiel er vom Fahrrad und war tot. Trotz seiner Rehabilitation kämpfte Arnold erfolglos gegen eine unbarmherzige Bürokratie. Nicht nur sein dringendster Wunsch, wieder zurück in den Lehrerberuf zu kommen, wurde ihm versagt, auch andere Dinge, wie der Antrag auf eine Kur, stießen auf Ablehnung.

Dass gegen seine mutmaßliche Peinigerin Anklage erhoben wurde, erfuhr er nicht mehr.

Am vergangenen Donnerstag begann vor dem Landgericht Darmstadt der Prozess gegen Heidi K., die Kollegin, die ihn im Jahr 2001 der Vergewaltigung bezichtigte. Mit einer roten Perücke und einer Sonnenbrille erschien die mittlerweile vom Dienst suspendierte Lehrerin im Gerichtssaal, hielt sich zusätzlich einen Stapel Papier vors Gesicht, um sich vor den Kameras zu schützen.

Die Anklage lautet auf „schwere Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft“. Dieses juristische Konstrukt musste herhalten, weil die falsche Verdächtigung an sich bereits verjährt ist.

Zur Überraschung der meisten Beobachter, machte die Angeklagte von ihrem Schweigerecht keinen Gebrauch und stellte sich, anders als bislang, den Fragen des Gerichts. Damit war der erste Prozesstag ausgefüllt, und schon bald wurde klar, dass Heidi K. (so gab sie ihren Vornamen zu Protokoll) bei ihrer Darstellung blieb, damals in der großen Pause im Biologievorbereitungsraum der Georg-August-Zinn-Schule in Reichelsheim anal vergewaltigt und mit dem Tod bedroht worden zu sein.

Es darf bezweifelt werden, ob K. im ursprünglichen Verfahren 2002 so intensiv und hartnäckig zum Tatgeschehen befragt wurde, wie es an diesem Tag der Fall war. Immer wieder hakt die Vorsitzende Richterin Barbara Bunk nach, will es genauer wissen, genauer beschrieben haben. Was bedeutet dies? Was ist damit gemeint? Das Gericht besteht jetzt auf einer detaillierten Darstellung und fragt auch mehrfach zur gleichen Sache. Es geht um das „Tatgeschehen“, aber auch um Werdegang und persönliche Verhältnisse von Heidi K. „Wer fragt, führt“, erklärt die Richterin irgendwann, damit meint sie, es wäre ihr lieber, K. würde mehr von sich aus erzählen, als nur auf Fragen zu reagieren. Das klappt jedoch nicht wirklich. Ein flüssiger Vortrag kommt selten von der Anklagebank. Das Gericht macht aber auch keinen Druck, sondern wartet, bevor es die nächste Frage stellt, so dass immer wieder kleine Pausen entstehen.

Versucht man auszublenden, was man über Heidi K. weiß, und das Gesagte völlig unvoreingenommen zu beurteilen, kann man nicht pauschal sagen, dass es nicht stimmig wäre. Wüsste man nicht mittlerweile, dass auch die Tat selbst sich kaum so abgespielt haben kann wie geschildert, man könnte sie auch glauben. Dabei geht die Stimme von K. ein paarmal ins Weinerliche. Für die Angehörigen von Horst Arnold im Gerichtssaal muss das schwer zu ertragen sein. Aber auch der unvoreingenommenste Beobachter dürfte stutzig werden, wenn die Richterin z.B. fragt, was Heidi K. unter einer angegebenen Vaginalblutung verstehe, ob die Regelblutung oder eine Verletzung gemeint sei, und die Antwort lautet: „Das weiß ich nicht mehr.“

Alles in allem kann man sagen, dass die Aussage der Angeklagten dürftig wirkt. Dazu müssen sich Zuschauer ständig anstrengen etwas zu verstehen, denn K. spricht eher leise und eine Mikrofonanlage scheint im Altbau des Landgerichts Darmstadt als Luxus zu gelten. Man muss der Angeklagten zugute halten, dass „der Vorfall“, wie es die Vorsitzende betitelt, nun zwölf Jahre her ist. Andererseits ist es auch nicht unbedingt schwer, eine Darstellung immer wieder nahezu wortgleich zu wiederholen. Und es wurden im Laufe des Tages bereits einige Widersprüche offen angesprochen, sowohl von der Vorsitzenden, als sie spätestens nach einigen Stunden feststellt, dass eine Aussage von K. im Gegensatz zu Aussagen einer größeren Zahl von Zeugen steht, als auch vom geladenen sachverständigen Gutachter, der K. schon zu Anfang mehrfach damit konfrontierte, dass sie ihm zuvor andere Angaben gemacht habe.

Was Datumsangaben in ihrer Biografie betrifft muss K. regelmäßig passen, vorbereitet hat sie sich hierzu offenbar nicht. Die vielen offensichtlichen Lügenmärchen, die Heidi K. in ihrer Biografie angehäuft hat, waren erst zu einem geringen Teil Gegenstand der Vernehmung. Die Tochter, die Heidi K. zu haben vorgab und die bei einem Autounfall getötet worden sei, sollte nun eine Zwillingstotgeburt gewesen sein, sie müsse da wohl missverstanden worden sein. Und wenn sie einmal von ihrem Ehemann die Treppe heruntergestoßen worden sein will und dann wieder „aus der Tür geschoben“, dann erklärt sie das damit, dass vor der Türe die Treppe gewesen sei.

Machte Verteidiger Torsten Rock anfangs nicht den Eindruck, viel zur Verteidigung seiner Mandantin zu unternehmen, so ging er am Nachmittag zum Angriff über. Er will offenbar das Bild von Horst Arnold nicht ungetrübt stehen lassen. Seine nachdrückliche Behauptung, auch Arnold habe nicht immer die Wahrheit gesagt, löst leichte Unmutsbekundungen im Publikum aus. Dabei sagt auch der Anwalt des Verstorbenen, Hartmut Lierow, Arnold habe sich auch gar nicht als ein Säulenheiliger dargestellt.

Und noch eine Trumpfkarte zieht der Verteidiger aus dem Ärmel: Bezugnehmend auf das Ereignis, als seine Mandantin von Horst Arnold auf dem Marktplatz in Michelstadt bedroht worden sein will, an einem Tag, als dieser bereits in Untersuchungshaft saß, erklärte er überraschend, dass dessen Bruder damals in der Nähe gewesen sei. Und dieser sei ihm ähnlich gewesen. Letztere Darstellung wurde von einem Verwandten Arnolds gegenüber Wikinews umgehend zurückgewiesen.

Am Ende des ersten Gerichtstages hat man den Eindruck, dass die Verteidigung das Bild des verstorbenen Justizopfers Horst Arnold nicht schonen wird – aber auch, dass am Ende ein deutliches Urteil stehen könnte. Bis zu zehn Haft Jahre sind möglich. Fragt man Steffen Arnold, den Bruder des Verstorbenen, so will dieser zumindest, dass Heidi K. nie wieder die Möglichkeit bekommt, Schaden anzurichten.

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Quellen[Bearbeiten]

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