Kinderbildungsgesetz NRW soll die frühkindliche Betreuung verbessern

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Veröffentlicht: 17:41, 29. Okt. 2007 (CET)
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Düsseldorf (Deutschland), 29.10.2007 – Der Landtag von Nordrhein-Westfalen hat am vergangenen Donnerstag mit den Stimmen von CDU und FDP das Kinderbildungsgesetz (Kibiz) in dritter Lesung verabschiedet. Das Gesetz regelt den Ausbau von Kitas zu Familienzentren, den Ausbau von Plätzen für Kinder unter drei Jahren, den Ausbau der Tagespflege und gezielte Sprachförderung in Kitas. Außerdem wird die Finanzierung der Betreuung neu geregelt; Eltern sollten die Betreuungszeiten zwischen 25, 35 und 45 Stunden wählen können und entsprechend gestaffelte Beiträge zahlen.

Eine Untersuchung der Firma Kienbaum im Auftrag des Ministeriums für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen rechnet bis zum Jahr 2010 mit 7.400 bis (bei Teilzeitarbeit) 8.500 neuen Stellen für Fachkräfte. Außerdem rechnet man mit 7.800 neuen Stellen für Tagespflegepersonen. Die Entwicklung hängt jedoch zusammen mit dem Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für Kleinkinder ab 1 Jahr ab dem Jahr 2013, der auf Bundesebene beschlossen ist und der nicht Bestandteil des Kinderbildungsgesetzes ist. Ab 2010 / 11 will die Regierungskoalition einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder von zwei Jahren an umsetzen, heißt es in einer rechtlich unverbindlichen Entschließung des Landtages.

Der Gesetzentwurf hatte in den letzten Monaten zu heftigen Protesten geführt. Die Gegner des Gesetzentwurfes hatten vor den Herbstferien 15.000 Menschen zu einer Demonstration mobilisiert und im Landtag 158.000 Protestunterschriften überreicht.

Wichtige Kritikpunkte waren die neuen Abrechnungspauschalen, die zur Vergrößerung von Gruppen und zum Abbau von Personal führen können und die als zu hoch angesehenen 19 Prozent Elternbeitrag; 13 Prozent sind der derzeitige Durchschnitt. Kleinere Träger könnten durch die kostengünstige 25-Stunden-Variante in ihrer Existenz gefährdet werden, wenn sich weniger wohlhabende Eltern in größerem Umfang für diese Betreuungsvariante entscheiden. Nach einem Rechtsgutachten der Wohlfahrtsverbände ist das Gesetz sogar verfassungswidrig, weil einzelne Kitas zu Familienzentren würden und damit ohne Grund im Wettbewerb begünstigt seien, sagte der Landesvorsitzende der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege, Uwe Becker, zur öffentlichen Anhörung im Landtag NRW. Beeinträchtigt sei die kollektive Glaubensfreiheit kirchlicher Träger und die Gleichbehandlung nach Artikel 3 Grundgesetz. Der Entwurf genüge auch nicht den Bestimmtheitsanforderungen nach Artikel 70 Satz 2 der Landesverfassung von Nordrhein-Westfalen.

Die Regierungsfraktionen betonten zum Abschluss der Beratungen zum Kinderbildungsgesetz am 18.10. man sei mit den vom Koalitionsausschuss beschlossenen Änderungsanträgen der Kritik entgegen gekommen. Den Kindertageseinrichtungen soll künftig am Ende eines Jahres ein Finanzausgleich gezahlt werden, wenn ihre tatsächlichen Betreuungskosten um mindestens 10 Prozent vom vorgesehenen Planungsbudget abweichen. Diese finanzielle Unterstützung sollen das Land und die Kommunen jeweils zur Hälfte übernehmen.

„Die Aufnahme der zehnprozentigen Korridorlösung, die Gestaltung der Trägeranteile und auch der Rechtsanspruch von Kindern aus Bedarfsgemeinschaften auf einen Betreuungsvertrag über 45 Stunden sind Gesetzbestandteile, die wir begrüßen. Aber es bleiben wesentliche Kritikpunkte“, erklärte Becker. „Unsere Verbesserungsvorschläge zur Betreuung der Kinder unter drei Jahren sind nicht aufgegriffen worden, der Elternbeitrag von 19 Prozent bleibt inakzeptabel, die Regelungen für Kinder mit Behinderung sind unzulänglich und unsere mehrfache Anmahnung, einen Übergangszeitraum vorzusehen, ist nicht aufgegriffen worden.“

„Der in der Diskussion über das Kinderbildungsgesetz erzielte Kompromiss ist im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf ein kleiner Schritt nach vorn, aber keineswegs eine zufrieden stellende Lösung“, erklärt Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE). „Auch dieser Entwurf wird dem Anspruch nicht gerecht, ein Kinderbildungsgesetz zu sein.“ Der Verband hatte der schwarz-gelben Regierungskoalition in einer früheren Stellungnahme vorgeworfen, ihre Wahlversprechen vergessen zu haben.

Der Landesverband Nordrhein-Westfalen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW NRW) hatte im April bereits den Referentenentwurf kritisiert und vor allem die mangelnde Orientierung des Gesetzes an dem Ziel einer qualitativen Verbesserung des Betreuungsangebotes für die Kinder unter drei Jahren bemängelt. Dazu gehörten nach Auffassung der Gewerkschaft der „Ausbau der Professionalität des pädagogischen Personals, der Erzieherinnen, Kinderpflegerinnen und sonstigen Fachkräfte sowie angemessene Arbeits- und Entlohnungsbedingungen“. Außerdem kritisiert die GEW eine unsolide Finanzierung des Vorhabens. Vorangegangene Kosteneinsparungen im System der Kinderbetreuung würden dabei nicht einmal kompensiert. Die Ausweitung der Betreuung komme durch Umverteilungen im System zustande, bei denen die konfessionellen Träger einseitig bevorzugt würden. Die GEW sieht in dem gegenwärtigen Finanzierungsmodell eine Existenzgefährdung vor allem der freien Träger und Elterninitiativen, die gegenwärtig immerhin einen Anteil von neun beziehungsweise fünf Prozent hätten. Insgesamt lehnt die GEW den Gesetzentwurf ab und fordert eine Abkehr der Kinderbetreuung von einer „Finanzierung nach Kassenlage“. Für eine Absicherung einer qualitativ angemessenen pädagogischen Betreuung müsse man zunächst die „tarifliche Vergütung für das pädagogische Personal“ absichern und „prekäre[n] Beschäftigungsverhältnisse in Kindertageseinrichtungen“ vermeiden.

Die GEW bekräftigte zur Verabschiedung des Gesetzes, dass die enorme soziale Schieflage des Kinderbildungsgesetzes sich trotz kleiner Nachbesserungen nicht verändert habe. Der stellvertretende Landesvorsitzende der GEW, Norbert Müller, kommentierte die Verabschiedung: „Sichere und auskömmliche Arbeitsverhältnisse sind eine der Voraussetzungen für gelingende Bildungs- und Erziehungsarbeit. Wenn Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen künftig vermehrt darauf angewiesen sein werden, zum Zwecke des Lebensunterhalts einen Zweitjob anzunehmen, dann ist das beschämend und hat zur Folge, dass sie sich nicht mehr mit voller Kraft der Arbeit mit den Kindern widmen können.“

Der Düsseldorfer Sozialdezernent Burkhard Hintzsche äußerte in einem Interview mit dem Westdeutschen Rundfunk erhebliche Zweifel, ob mit den vorhandenen finanziellen Ressourcen die bedarfsgerechten Gruppenformen und Betreuungszeiten in den Kindergärten finanziert werden können. Die im Kibiz-Gesetz vorgesehene Quote von 20 Prozent an U3 (Unter-Dreijährigen) Betreuungsplätzen bliebe unter den bundesweit vorgesehenen 35 Prozent für 2012 zurück und werde in Düsseldorf bereits 2008 erreicht, damit sei die Situation in den Großstädten von Nordrhein-Westfalen nicht angemessen umgesetzt worden. Das Gesetz benachteilige außerdem die Großstädte, weil ein Pauschalbetrag für die Mietkosten der Einrichtungen angesetzt werde, was dazu führe, dass in Großstädten weniger Geld zur Verfügung stehe, sagte Hintzsche.

Auch die parlamentarische Opposition im Düsseldorfer Landtag lehnt das Gesetz ab. SPD-Fraktionsvize Britta Altenkamp sagte in der Landtagsdebatte, das vorliegende Gesetz sei „das armseligste Kindergartengesetz in Deutschland“. Die Grünen-Abgeordnete Andrea Asch sieht eine Zwei-Klassen-Gesellschaft auf die Kinderbetreuung zukommen: „Die Schere zwischen armen und reichen Kindern und Kommunen wird sich weiter öffnen.“ Im Gegenzug warfen Vertreter der Regierungskoalition der rot-grünen Vorgängerregierung mangelnden Mut und Gestaltungswillen vor: „Sie haben weder Qualität noch Quantität hingekriegt.“

Die Gesetzesnovelle tritt am 1. August 2008 in Kraft. Eine Revisionsklausel sieht vor, dass die Auswirkungen des Kinderbildungsgesetzes 2011 überprüft werden sollen.

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