Deutsche Sprache: Das „Unwort des Jahres 2010“ lautet „alternativlos“

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Veröffentlicht: 18:42, 18. Jan. 2011 (CET)
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Frankfurt am Main (Deutschland), 18.01.2011 – Es ist entschieden. Das „Unwort des Jahres 2010“ ist das Adjektiv „alternativlos“. Das gab heute der Sprecher der Jury, Horst Dieter Schlosser, bekannt. Zur Begründung hieß es: „Das Wort suggeriert sachlich unangemessen, dass es bei einem Entscheidungsprozess von vornherein keine Alternativen und damit auch keine Notwendigkeit der Diskussion und Argumentation gebe. Behauptungen dieser Art sind 2010 zu oft aufgestellt worden, sie drohen, die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung zu verstärken.“ Weitere Un-Wörter des Jahres 2010, die der Jury negativ aufgefallen waren und deshalb kritisiert wurden, sind: „Integrationsverweigerer“ und „Geschwätz des Augenblicks“.

Den Begriff „alternativlos“ hatte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel im Zusammenhang mit der Griechenlandhilfe benutzt. Die anderen EU-Staaten sollten durch die Formulierung von der Notwendigkeit der finanziellen Unterstützung für die überschuldete griechische Wirtschaft überzeugt werden.

Der deutsche Innenminister Lothar de Maizière hatte den Begriff „Integrationsverweigerer“ im letzten Jahr in die politische Debatte zur Kennzeichnung von Migranten eingeführt, die sich aus seiner Sicht der Integration in die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland entziehen. Die Jury bewertete den Begriff als Unterstellung, da für eine solche Behauptung „noch immer eine sichere Datenbasis fehlt“. Außerdem werde durch eine solche Begriffswahl die Tatsache ausgeblendet, „dass der Staat seinerseits für die Integration noch zu wenig tut“.

Der Ausdruck „Geschwätz des Augenblicks“ war vom Dekan des Kardinalskollegiums der Römisch-Katholischen Kirche, Angelo Sodano, bei der letztjährigen Ostermesse des Papstes verwendet worden, um damit die massiven Vorwürfe im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche abzutun.

Die Jury besteht aus vier ständigen Mitgliedern, die beruflich mit der Sprachwissenschaft verbunden sind. Außerdem werden jedes Jahr zwei weitere Jurorensitze mit Vertretern der öffentlichen Sprachpraxis besetzt. Das waren in diesem Jahr Ruth Fühner, Journalistin beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt am Main und Hellmuth Karasek, Autor und Literaturkritiker aus Hamburg.

Die sprachpolitische Aktion wird seit 1991 durchgeführt, damals noch von der Gesellschaft für deutsche Sprache. Seit 1994 handelt es sich um eine von der Sprachgesellschaft unabhängige Jury, weil es 1993 einen Streit um die Wortprägung „kollektiver Freizeitpark“ gegeben hatte, die dem ehemaligen Bundeskanzler Kohl zugeschrieben wird. Die Jury wählt die Kandidaten für das jeweilige Unwort im Rahmen ihrer „Sprachkritische[n] Aktion Unwort des Jahres“ aus einer jährlich wachsenden Zahl von Einsendungen und anderen Vorschlägen aus. Jeder kann sich an der Sammlung beteiligen. Gesucht werden Wörter, die „sachlich grob unangemessen sind und möglicherweise sogar die Menschenwürde verletzen“. Die beiden letzten Unwörter des Jahres waren 2008 „notleidende Banken“, das laut Jury die realen Zusammenhänge von Ursachen und Folgen der Weltwirtschaftskrise auf den Kopf stellte, und 2009 die Diffamierung betrieblicher Interessenvertretung mit dem Begriff „betriebsratsverseucht“.

Mit der diesjährigen, zwanzigsten Prämierung des Unworts des Jahres, scheiden zwei langjährige ständige Mitglieder aus der Jury aus: Margot Heinemann (Leipzig), ständiges Mitglied seit 1994, und der bisherige Sprecher Schlosser, der die Aktion auch ins Leben gerufen hatte. Neue Mitglieder werden Jürgen Schiewe (Universität Greifswald) und Kersten Sven Roth von der Universität Zürich, beide renommierte Sprachwissenschaftler, die mit sprachkritischen Publikationen in Erscheinung getreten sind. Neue Jury-Sprecherin wird Nina Janich von der Technischen Universität Darmstadt.

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Quellen