Ägypten: Opposition mobilisiert weiter gegen Mubarak

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Veröffentlicht: 23:46, 31. Jan. 2011 (CET)
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Demonstranten in Kairo am 30. Januar 2011: „The stepping down of the government is not enough.. No to the NDP, No to the MPs.. No to Mubarak“

Kairo (Ägypten), 31.01.2011 – Die Lage in Ägypten hat sich nach den inzwischen sechs Tage andauernden Protesten leicht beruhigt. U-Bahn-Stationen und kleinere Lebensmittelläden hatten geöffnet. Nach wie vor harren Demonstranten auf dem zentralen At-Tahrir-Platz in der ägyptischen Hauptstadt Kairo trotz des erweiterten Ausgehverbots aus. Seit 16 Uhr Ortszeit gilt ein Ausgehverbot, das von den Demonstranten jedoch weitgehend ignoriert wird. Die Ausgangssperre gilt bis acht Uhr morgens. Beim Betreten des Platzes werden Demonstranten von Soldaten kontrolliert. Das Militär schreitet jedoch nicht ein, um die Demonstrationen zu verhindern. Mit gepanzerten Militärfahrzeugen und Soldaten zeigt das Militär jedoch in den großen Städten überall Präsenz. Am Vormittag flogen erneut Kampfjets im Tiefflug über die Innenstadt von Kairo.

Auch die Polizei zeigte wieder stärker Präsenz, nachdem sie seit Freitag weitgehend aus dem Stadtbild verschwunden war. Aus mehreren Gefängnissen war tausenden Gefangenen die Flucht gelungen. Teilweise bewaffnete Plünderer und Randalierer hatten dieses Machtvakuum ausgenutzt, um Zerstörungen anzurichten und fremdes Eigentum zu rauben. Banken, Geschäfte und sogar Krankenhäuser wurden angegriffen. Das Ägyptische Museum in Kairo war überfallen und vandaliert worden. In den Vororten waren Geschäfte geplündert worden. Die Bürger schlossen sich in mehreren Stadtteilen zu Bürgerwehren zusammen, um die Plünderer daran zu hindern, ihr Eigentum zu zerstören oder zu stehlen.

Die Opposition mobilisiert für Dienstag

Friedensnobelpreisträger Mohamed el-Baradei, der sich selbst als Sprecher der Opposition gegen den ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak betrachtet, forderte den Präsidenten erneut zum Rücktritt auf. Die oppositionellen Kräfte hätten sich untereinander darüber verständigt, für Dienstag einen „Marsch der Millionen“ zu organisieren. Außerdem rief er für Dienstag zu einem Generalstreik auf. Er griff damit einen Streikaufruf von Arbeitern in der Stadt Suez am Sonntagabend auf. Ein anderer Oppositionsvertreter erklärte: „Wir haben uns den Arbeitern in Suez angeschlossen und treten in einen Generalstreik bis unsere Forderungen erfüllt werden.“ Wie und ob es gelingt, solche Aufrufe innerhalb der Protestbewegung zu kommunizieren, ist angesichts der Pressezensur und der Sperrung von Internetdiensten unklar. Die islamistische Muslimbruderschaft erklärte, sie akzeptiere eine Führungsrolle el-Baradeis, der sich als Übergangspräsident angeboten hatte. Die islamistische Gruppierung hatte sich bei Beginn der Proteste zunächst zurückgehalten, strebt nach Ansicht politischer Beobachter inzwischen jedoch eine aktivere Rolle in der Oppositionsbewegung an. Aus der Muslimbruderschaft ging die Palästinenserorganisation Hamas hervor, die im Gazastreifen die politische Führung inne hat.

Mubarak will nicht gehen
Ägypten: Opposition mobilisiert weiter gegen Mubarak
Es soll künftig mehr Raum geben für die Beteiligung der Parteien am politischen Leben mit dem Ziel, eine freie demokratische Gesellschaft zu schaffen, wie dies alle Menschen wünschen.
Ägypten: Opposition mobilisiert weiter gegen Mubarak

– Präsident Husni Mubarak, zitiert lt. swissinfo.de

Staatspräsident Mubarak versucht unterdessen, seine Macht zu behaupten. Am Sonntag sprach er sich in einer Rede im Fernsehen für eine umfassende Reform des politischen Systems und der Verfassung aus. Den neu ernannten Ministerpräsidenten Ahmad Schafik forderte er dazu auf, energische Schritte zur Realisierung dieser Ziele zu ergreifen. Weiter wird Mubarak mit den Worten zitiert: „Es soll künftig mehr Raum geben für die Beteiligung der Parteien am politischen Leben mit dem Ziel, eine freie demokratische Gesellschaft zu schaffen, wie dies alle Menschen wünschen.“

Reisewarnungen und Ausreisewelle

Mehrere Länder begannen am Montag damit, ihre Staatsangehörigen aus Ägypten auszufliegen. Neben der Lufthansa und Air India beschlossen mehrere Fluggesellschaften, teilweise im Auftrag ihrer Regierungen, weitere Flüge zu organisieren, um ihre Staatsangehörigen aus Ägypten auszufliegen. Das deutsche Auswärtige Amt rät bereits seit gestern von Reisen nach Ägypten ab, sprach jedoch noch keine offizielle Reisewarnung aus. Dagegen warnt die Schweiz[1], ebenso wie Österreich[2] ihre Bürger vor Reisen nach Ägypten. Auch die Regierung Australiens warnt vor Reisen in das Land[3]. Das State Department der USA (Außenministerium) empfiehlt seinen Bürgern wegen andauernder politischer und sozialer Unruhen, Reisen nach Ägypten zu „vermeiden“[4].

Australien, China, Griechenland, Österreich, die Türkei, die USA und weitere Länder starteten ebenfalls Rückholaktionen. Die Lage in den touristischen Zentren, unter anderem Scharm El-Scheich an der Spitze der Sinai-Halbinsel und Hurghada am Roten Meer, wird als ruhig beschrieben. Allerdings werden Preisanstiege für Treibstoff oder Lebensmittel gemeldet.

Mehrere international operierende Unternehmen begannen ebenfalls ihre Mitarbeiter aus Ägypten zu evakuieren. Darunter die deutschen Autobauer BMW und Daimler sowie der niederländisch-britische Ölkonzern Royal Dutch Shell und das italienische Energieunternehmen Eni. Der deutsche Energiekonzern RWE hat bereits alle Mitarbeiter aus Ägypten evakuiert.

Fragiles Kräftegleichgewicht im Nahen Osten

Während mehrere westliche Länder demonstrativ von Mubarak abrückten und zu politischen Reformen in Ägypten drängten, zeigte sich Israel besorgt über die politische Entwicklung in Ägypten: „Wir hatten und haben immer noch großen Respekt für Präsident Mubarak“, sagte Staatspräsident Schimon Peres anlässlich eines Empfangs für neue Botschafter in seiner Residenz in Jerusalem. Mubarak war in der Vergangenheit mehrfach als Vermittler zwischen den verfeindeten Parteien des Nahostkonflikts aufgetreten. Die israelische Führung fürchtet nun, dass nach einem Umsturz in Ägypten die Macht an radikal-islamische Fundamentalisten fallen könnte. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wies seine Minister an, die Vorgänge in Ägypten nicht öffentlich zu kommentieren. Doch nach einem Treffen mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach Netanyahu die israelische Befürchtung deutlich aus, dass wie im Iran nach dem Sturz des Schahs auch in Ägypten islamistische Extremisten an die Regierung kommen könnten. Merkel und Netanyahu sprachen längere Zeit über die Situation in Ägypten. Merkel machte den Standpunkt der Bundesregierung deutlich, dass Israel unter dem Eindruck der Proteste in Kairo den Friedensprozess mit den Palästinensern vorantreiben müsse.

Das israelische Außenministerium sandte bereits am Samstagabend eine diplomatische Note an die Botschafter mehrerer international schwergewichtiger Länder in Israel, um ihnen den Standpunkt Israels klarzumachen, darunter die Vereinigten Staaten, Kanada, China, Russland und mehrere europäische Staaten. Demnach sei es von großer Bedeutung die Stabilität Ägyptens aufrechtzuerhalten. In einer gesonderten Depesche wurden sie gebeten, diesen Standpunkt der israelischen Regierung so schnell wie möglich an ihre jeweiligen Regierungen weiterzumelden. Das berichtet die israelische Zeitung Haaretz.

Israel und Ägypten haben 1977 einen Friedensvertrag abgeschlossen und beide Staaten entwickelten sich seitdem zu wichtigen strategischen Partnern. Mubarak und Netanjahu teilen die Sorge über ein Erstarken von Islamisten und der Militärmacht Irans. Mubaraks Regierung spielte außerdem eine Schlüsselrolle im israelischen Kampf gegen die Macht von Hamas im Gazastreifen. Bei den Verhandlungen zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde war insbesondere der neuernannte Vizepräsident, Omar Suleiman, des öfteren vermittelnd tätig. Ein Sturz Mubaraks könnte Israel außerdem in der Region fast vollständig isolieren. Die persönliche Chemie zwischen Netanjahu und dem jordanischen König Abdullah stimmt nicht; der Monarch weigert sich, mit dem israelischen Ministerpräsidenten zusammenzutreffen. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas wiederum kommt nicht mit dem rechten Flügel der israelischen Regierung und Außenminister Avigdor Lieberman zurecht. Nachdem 2010 bei einer israelischen Militäraktion neun Türken getötet wurden, sind die Beziehungen mit dem langjährigen Verbündeten Türkei erkaltet. Israel müsste sich somit nach neuen Verbündeten umsehen. Der logische Kandidat wäre Syrien, dessen Golanhöhen Israel seit 1967 besetzt hält. Syrien sehnt sich seit langem danach, die ägyptische Vormacht in der Region zu brechen.

Der syrische Staatspräsident Baschar al-Assad sprach in Zusammenhang mit den Umwälzungen in Tunesien und Ägypten von einer „neuen Ära“. Den Politikern der arabischen Welt riet er, „sich selbst in dem Maß weiterzuentwickeln, wie sich die Gesellschaft weiterentwickelt.“ Die gesamte arabische Welt sei von „jahrzehntelanger Stagnation“ geprägt. In Syrien gab es seit dem Beginn der so genannten Jasmin-Revolution in Tunesien noch keine größeren Massenaktionen. Nach Einschätzung von Human Rights Watch gibt es auch in Syrien keine Presse- und Meinungsfreiheit. Ähnlich wie in anderen arabischen Ländern kennzeichnen ebenfalls Armut und Arbeitslosigkeit die Situation in dem Land.

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Fußnoten

  1. Reisewarnung des „Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten“ lt. eda.admin.ch
  2. Reisewarnung des österreichischen Außenministeriums lt. bmeia.gv.at
  3. Reisewarnung des australischen „Department of Foreign Affairs and Trade“ lt. smartraveller.gov.au
  4. Reisewarnung des „US State Department“ lt. travel.state.gov

Quellen