Gespannte Erwartung auf den Ausgang des Referendums über den EU-Vertrag in Irland

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Veröffentlicht: 17:36, 12. Jun. 2008 (CEST)
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Dublin (Irland), 12.06.2008 – Gespannt blickt die Europäische Union (EU) auf eines ihrer kleinsten Mitgliedsländer. Die 2,8 Millionen wahlberechtigten Iren sind heute zu einer Volksabstimmung über den EU-Reformvertrag aufgerufen. Die Wahllokale öffneten um sieben Uhr (Ortszeit). Die Abstimmung läuft bis 23 Uhr.

Irland ist das einzige EU-Mitglied, das seine Einwohner zu einem Referendum über den neuen EU-Vertrag aufgerufen hat, der die Arbeit in der EU auf eine neue Grundlage stellen und Entscheidungsprozesse innerhalb des inzwischen auf 27 Staaten angewachsenen Staatenbundes vereinfachen soll. Nach dem Debakel gescheiterter Abstimmungen in den Niederlanden und Frankreich über die EU-Verfassung vor drei Jahren hatten die anderen EU-Staaten auf förmliche Referenden zu diesem Thema verzichtet und den EU-Reformvertrag, auch Vertrag von Lissabon genannt, durch die Parlamente absegnen lassen. In Irland schreibt die nationale Verfassung eine Volksabstimmung zu dem EU-Vertrag zwingend vor.

Ein Scheitern der Abstimmung in Irland könnte den Reform- und Integrationsprozess der EU stark belasten, befürchten Europapolitiker. Laut Umfragen wird ein äußerst knapper Wahlausgang erwartet. Am 7. Juni 2001 hatten die Iren den Vertrag von Nizza mit einer Mehrheit von 50,4 Prozent bei geringer Wahlbeteiligung abgelehnt. Im Falle einer Ablehnung des Vertrages bei dem Referendum in Irland wird ein Stillstand innerhalb der EU befürchtet. Innerhalb der Europäischen Union wird keine Alternative zu dem Vertrag gesehen. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso brachte die Alternativlosigkeit der auf Irland gerichteten Hoffnungen mit den Worten zum Ausdruck: „Es gibt keinen Plan B.“ Der alte Vertrag von Nizza würde weiter in Kraft bleiben. Die Ängste in den EU-Führungsgremien vor einem Scheitern des Referendums sind offenbar so groß, dass sogar anstehende politische Entscheidungen auf EU-Ebene aus Angst, man könnte die irischen Wähler damit verprellen, aufgeschoben wurden. Das betrifft anstehende Entscheidungen über Fragen der Unternehmensbesteuerung sowie die Vereinbarung von Regeln für europäische Investmentfonds. Die irische Regierung selbst, die den neuen EU-Vertrag befürwortet, hat Ängste vor möglichen Irritationen im Zusammenhang mit der in Kürze anstehenden französischen Ratspräsidentschaft zur Grundlage der Terminplanung für das Referendum gemacht. Man befürchtet laut n-tv, dass der französische Präsident Nicolas Sarkozy eine engere militärische Zusammenarbeit innerhalb der EU auf die Tagesordnung setzen könnte. Um die Abstimmung über den EU-Reformvertrag durch irische Befürchtungen zu diesem Thema nicht zu gefährden, wurde der Termin des Referendums in den Juni vorverlegt. Mit welchen ernsten Konsequenzen im Falle eines Scheiterns der Volksabstimmung in Irland gerechnet wird, zeigt eine Einschätzung des SPD-Europaparlamentariers, Jo Leinen: „Letztendlich müsste man die Erosion der EU befürchten. Ein Auseinanderfallen in ein Kerneuropa der Staaten, die vorangehen wollen, und ein Ring von Staaten, die beim Binnenmarkt mitmachen, sich aber ansonsten nicht mehr beteiligen.“

Der EU-Reformvertrag (Vertrag von Lissabon) ersetzt die ursprünglich geplante Europäische Verfassung, weil der Verfassungstext in zwei Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden durchgefallen war. Der Vertrag, der im Dezember 2007 dem amtierenden portugiesischen EU-Ratspräsidenten José Sócrates, dem EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso sowie dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering, in Lissabon unterzeichnet worden war, wurde bisher durch Abstimmungen in 15 europäischen Parlamenten ratifiziert. Sein Inkrafttreten ist für den 1. Januar 2009 vorgesehen.

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Quellen