Umstrittene Äußerung: Bundestags-Vizepräsident Thierse unter Beschuss

aus Wikinews, einem freien Wiki für Nachrichten
Veröffentlicht: 22:59, 15. Nov. 2007 (CET)
Bitte keine inhaltlichen Veränderungen vornehmen.
Wolfgang Thierse (2004 beim Erhalt der Ehrendoktorwürde der Universität Münster)

Berlin (Deutschland), 15.11.2007 – Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) sieht sich wegen einer angeblichen Äußerung in einem Interview starker Kritik ausgesetzt. Thierse hatte in dem Gespräch mit der Leipziger Volkszeitung Stellung zum kürzlich bekanntgewordenem Rückzug von Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) aus der Politik bezogen und dabei nach Darstellung der Zeitung ehrverletzende Kritik am Verhalten des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl (CDU) geäußert. Im Interview wird Thierse wie folgt zitiert: „Es ist eine unpolitische Entscheidung, dass Franz Müntefering seine Frau in der letzten Phase ihres Lebens direkt begleiten will. Seine Frau im Dunkeln in Ludwigshafen sitzen zu lassen, wie es Helmut Kohl gemacht hat, ist kein Ideal.“ Kohls Frau Hannelore hatte 2001 im heimischen Ludwigshafen Suizid begangen. Erst nach ihrem Tod war bekanntgeworden, dass sie lange Jahre unter einer Lichtallergie gelitten hatte.

Thierse bestreitet die Äußerung. Das abgedruckte Interview sei eine „verkürzte und nicht autorisierte“ Darstellung seiner Äußerungen. Dem Nachrichtensender N24 gegenüber erklärte Thierse: „Es war keinesfalls meine Absicht, Helmut Kohl zu kritisieren. Wer bin ich denn!?“ Er habe auf das schwierige Spannungsfeld zwischen Privatleben und Politik hinweisen wollen. In diesem gebe es für Politiker „keine ideale Lösung“. Der Fall Helmut Kohl sei ein Beispiel dafür gewesen, dass man hämische Kritik ernte, egal, wie man es mache. Die Leipziger Volkszeitung wies die Darstellung Thierses zurück. In einer Stellungsnahme heißt es: „Ein umstrittenes Zitat Thierses ist in der Zeitung nachweislich keinesfalls falsch und ungekürzt wiedergegeben worden. Der Gesamtinhalt des Interviews ist in gestraffter Form erschienen.“

Nach Bekanntwerden des Interviews hatte es primär aus den Reihen der CDU und CSU massive Proteste gegeben. Es wurden Forderungen laut, dass Thierse das Amt als Bundestags-Vizepräsident aufgeben solle. So sagte Michael Fuchs (CDU), Vorsitzender des Parlamentskreises Mittelstand der CDU-Bundestagsfraktion, zur Schweriner Volkszeitung, Thierse „sollte seinen Hut nehmen, oder die SPD muss ihn zurückziehen“. Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) bezeichnete es als „menschlich unanständig“ und einen „Tiefpunkt im Umgang“ mit Kollegen, „sich in private Angelegenheiten in verletzender Form einzumischen, ohne die Fakten zu kennen“. Sein Stellvertreter Hans-Peter Friedrich (CSU) warf Thierse zudem „Selbstgefälligkeit und offensichtliche Charaktermängel“ vor. Die SPD solle sich überlegen, ob Thierse „der richtige Repräsentant an der Spitze des Parlaments“ sei.

Unterdessen hat sich Thierse nach Angaben der Saarbrücker Zeitung in einem Brief an Altkanzler Kohl geäußert und die angeblich falsche Darstellung erläutert. In einem Telefonat mit einem Journalisten habe er gesagt, dass Politiker unter Umständen zwischen Politik und Familie abwägen müssten, es dabei aber keine ideale Lösung gebe. Es sei weder ideal, seine Familie zu verlassen noch die Politik. Sowohl im Fall Kohl wie auch bei Müntefering habe es sich um eine persönliche und sehr schwierige Entscheidung gehandelt. Diese respektiere er, eine Bewertung wolle er nicht treffen. Wenn durch ein verkürztes Zitat ein anderer und falscher Eindruck entstanden sei, bedauere er dies ausdrücklich.

Quellen