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Schweres Erdbeben vor der Küste Chiles – Notstand ausgerufen

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Veröffentlicht: 15:02, 28. Feb. 2010 (CET)
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Epizentrum des Erdbebens
Kartographie: USGS

Santiago de Chile (Chile) / Honolulu / Denver (Vereinigte Staaten), 28.02.2010 – Ein sehr starkes Erdbeben, das eine Momenten-Magnitude von Mw=8,8 erreichte, ereignete sich am 27. Februar um 7:34  Uhr mitteleuropäischer Zeit (3:34 Uhr Ortszeit). Für Teile Chiles wurde der Notstand ausgerufen. Mindestens 300 Personen wurden in Chile durch die Auswirkungen des Erdbebens getötet. Die scheidende Staatspräsidentin Michelle Bachelet wies bereits unmittelbar nach den Erdstößen darauf hin, dass mit höheren Opferzahlen zu rechnen sei. In der Zone, die am stärksten von dem Erdbeben betroffen wurde, könnten die Zerstörungen nach ersten Analysen des Systems PAGER die Stufe VIII der erweiterten Mercalliskala erreichen. In diesem Bereich leben nach den Angaben des United States Geological Survey (USGS) rund drei Millionen Menschen. 400.000 Menschen seien ersten Angaben zufolge obdachlos oder betroffen, mindestens 1,5 Millionen Häuser wurden durch das Beben selbst oder die Folgen beschädigt. „Das muss der Weltuntergang sein“, drückte ein Mann im chilenischen Fernsehen seine Gefühle aus.

Das Erdbeben löste auch Brände aus, wie etwa in dieser Fabrik.
Foto: Plinio.!

Die Erdstöße dauerten rund 90 Sekunden. Das genaue Ausmaß der Schäden ist noch nicht bekannt. Nach ersten Angaben örtlicher Fernsehstationen wurden in Santiago de Chile Häuser beschädigt, eine Straßenbrücke über den Río Claro in der Nähe der chilenischen Hauptstadt sei eingestürzt. Offenbar kam es im ganzen Land zu Stromausfällen. In der Hauptstadt stürzte der Kirchturm der Kirche Nuestra Señora de la Providencia ein. Die Trümmer eines Parkhauses begruben mindestens 50 Autos. Der Flughafen wurde in Mitleidenschaft gezogen und vorerst geschlossen. Ankommende Flugzeuge wurden nach Buenos Aires und Mendoza in Argentinien umgeleitet.

In Concepción seien viele Straßen unpassierbar, berichtete ein Reporter eines chilenischen Fernsehsenders. „Es gibt keine Straße ohne Trümmer. Es ist uns noch nicht gelungen, bis zur Stadtmitte vorzudringen.“ Risse ziehen sich durch den Asphalt der Straßen, das Verwaltungsgebäude der Regionalregierung sei wie viele andere öffentliche Bauten in sich zusammengestürzt. Nach den vorläufigen Angaben der chilenischen Regierung wurden durch die Auswirkungen des Erdbebens 500.000 Wohnungen unbenutzbar.

Das Hypozentrum des Bebens lag nach Angaben des USGS etwa 325 Kilometer südwestlich von Santiago de Chile und 115 Kilometer nord-nordöstlich von Concepción in einer Tiefe von 35 Kilometer in der dortigen Triple Junction. Das pazifische Tsunamiwarnzentrum in Honolulu auf Hawaii löste außer für Chile und Peru eine Warnung vor einem Tsunami für 53 Staaten und Gebiete aus. Bereits zwanzig Minuten nach dem Erdbeben erreichte der Tsunami die Hafenstadt Valparaíso mit einer Amplitude von 130 Zentimetern, in Talcahuano 234 Zentimeter. Schiffe und Hubschrauber waren zu den chilenischen Juan-Fernández-Inseln unterwegs, die etwa 600 Kilometer vom Festland entfernt liegen. Die Küste Französisch-Polynesiens wurde nach Berichten der BBC von rund zwei Meter hohen Wellen getroffen. Fünf Personen kamen durch den Tsunami auf den Juan-Fernández-Inseln um, elf weitere Personen sind vermisst.

Später weitete das Tsunamiwarnzentrum auf Hawaii die Tsunamiwarnung für den gesamten Pazifikraum auf die höchste Warnstufe aus. Sie galt zwischenzeitlich für die gesamte Westküste des Doppelkontinents Amerika sowie für die dem Pazifischen Ozean zugewandten Küsten von Australien, Neuseeland, Russland, Japan, Taiwan, die Philippinen, Indonesien, Hawaii, Papua-Neuguinea, Fidschi und die Antarktis. Außerdem schloss die Warnung die Pitcairninseln, Französisch-Polynesien, die Cookinseln, Kiribati, die Kermadecinseln, Niue, Tonga, die Samoainseln, Jarvis, Wallis und Futuna, Tokelau, Palmyra, Tuvalu, Vanuatu, Nowland, Bakerinsel, die Marshallinseln, Midway, Wake, die Marcusinsel, die Nördlichen Marianen, Guam, Palau und Teile Mikronesiens ein. Inzwischen ist sie aber wieder aufgehoben, lediglich für Japan und Russlands Küsten wird sie noch aufrecht erhalten.

Projektion der erwarteten Amplitude
Grafik: USGS

Die Erinnerungen an das Sumatra-Andamanen-Beben, das 2004 ebenfalls einem Tsunami auslöste und zum Tod von über 228.000 Menschen führte, verursachten im Pazifikraum Beunruhigung. Nach den Berechnungen des Tsunamiwarnzentrums sollte die Flutwelle Hawaii gegen 22:00 Uhr MEZ erreichen und etwa 45 Minuten später in Australien eintreffen. Das australische Bureau of Meteorology forderte dazu auf, vor allem zwischen Sydney und Brisbane von den Küsten fernzubleiben. Schaulustige sollten nicht die Flutwelle beobachten. Das Tsunamiwarnzentrum forderte für Hawaii dazu auf, „Leben und Eigentum zu schützen“. Es wies darauf hin, dass die erste eintreffende Flutwelle vermutlich nicht die höchste sein wird. Ab 6:00 Uhr Ortszeit (17:00 Uhr MEZ) heulten auf Hawaii die Sirenen, womit Bewohner tiefergelegener Gebiete aufgefordert wurden, sich in Sicherheit zu bringen. Vor allem am Ufer gelegene Hotels werden evakuiert. An Tankstellen und Supermärkten kam es zu Hamsterkäufen. Berichten auf CNN zufolge gab es Befürchtungen, dass die Welle in Hawaii eine Höhe von bis zu 4,5 Metern erreicht. In Neuseeland und Japan warnten die Behörden die Bevölkerung vor einer Flutwelle, deren Wellenhöhe bis zu drei Meter erreichen könne. Der Bahnverkehr wurde teilweise eingestellt und küstennahe Straßen gesperrt.

Das Tsunamiwarnzentrum gab später bekannt, dass der Tsunami an der Insel Hiva Oa eine Höhe von 179 Zentimetern erreichte. In Pago Pago auf Amerikanisch-Samoa, das erst im vergangenen September von einem Tsunami getroffen worden war, war die höchste Flutwelle 70 Zentimeter hoch. Kahului auf der Hawaiiinsel Maui meldete eine Amplitude von 98 Zentimetern. An der US-amerikanischen Westküste wurden zwischen 13 Zentimetern in San Diego und 53 Zentimetern in Santa Barbara gemessen. An den Ostküsten der japanischen Inseln Honshū und Hokkaidō wurden Maximalwerte von etwa 45 Zentimetern beobachtet. Aus Neuseeland und Australien wurden keine nennenswerten Tsunamiwerte berichtet. Auf den zu Neuseeland gehörenden Chathaminseln wurden allerdings Wellenhöhen von bis zu 150 Zentimetern aufgezeichnet. Die russische Nachrichtenagentur RIA Novosti verbreitete Angaben eines örtlichen Vertreters des russischen Katastrophenschutzministerium, nach denen der Tsunami an der Küste von Kamtschatka eine durchschnittliche Höhe von 25 Zentimetern erreicht habe. In Alaska kam der Tsunami mit einer Wellenhöhe von 20 bis 60 Zentimetern an. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Kyodo wurden an der japanischen Nordküste Flutwellen bis 145 Zentimetern beobachtet, an der russischen Pazifikküste erreichten erste Wellen 80 Zentimeter Höhe.

Beschädigtes Haus in Valparaiso

In Concepción sind unter den Trümmern eines erst vor kurzem fertiggestellten Hauses mit 14 Stockwerken noch 100 bis 150 Bewohner eingeschlossen. Die Rettungsmannschaften konnten bis zum Samstagabend rund 30 Menschen aus den Trümmern dieses Hauses bergen.

Aus einem Gefängnis in Chillán bei Concepción ermöglichten die Erdstöße mehr als 260 Häftlingen die Flucht. Wachleuten gelang es trotz Eröffnen von Schussfeuer nicht, die Häftlinge zurückzuhalten. Dabei wurden drei Häftlinge erschossen, vier weitere starben beim Einsturz der Mauern. Nach Polizeiangaben konnten einige der Geflüchteten bereits wieder festgenommen werden. Die Festnahmen der Restlichen stehen noch aus. Die Flüchtlinge steckten etliche Gebäude in der Stadt in Brand. Die Regierung entsandte Militäreinheiten, um die Sicherheit der Bürger zu wahren.

Das Erdbeben war um ein Vielfaches stärker, als das Erdbeben in Haiti, bei dem weit über 200.000 Menschen ihr Leben verloren. Starke Erdbeben sind in Chile nicht ungewöhnlich; seit 1970 wurde das Land von 13 Erdstößen erschüttert, die eine Magnitude größer als 7,0 hatten. Doch das Bewusstsein über die seismische Aktivität hat vermutlich vergleichbare Verluste an Menschen verhindert, Chile ist durch Bauvorschriften und Übungen des Zivilschutzes gut vorbereitet auf Erdbeben. „Chile ist ein seismisch [aktives] Land. Deswegen müssen wir vorbereitet sein!“ lautet das Motto von Onemi, dem nationalen Notfallzentrum.

Das Erdbeben vom 27. Februar ist eines der stärksten, dessen Intensität jemals gemessen wurde. Das weltweit stärkste Erdbeben seit dem ereignete sich 1960 ebenfalls in Chile. Es erreichte eine Magnitude von 9,5 und war damit weit stärker als das Seebeben im Indischen Ozean 2004. Die Stadt Valdivia wurde damals zerstört und 1655 Menschen kamen um. Der damals ausgelöste Tsunami tötete 140 Menschen noch im weitentfernten Japan. Die Südamerikanische Platte drückt hier die Nazca-Platte unter sich. Beide Platten bewegen sich mit einer Geschwindigkeit von 80 Millimetern jährlich aufeinander zu.

Innerhalb der ersten zweieinhalb Stunden nach dem Hauptbeben kam es zu elf starken Nachbeben, von denen fünf eine Magnitude von mehr als 6,0 aufwiesen, teilte die US-Erdbebenwarte mit. Die Auswirkungen des Hauptbebens waren noch im brasilianischen São Paulo zu spüren, wo mehr als 100 Notrufe bei der Feuerwehr eingingen.

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In der Wikipedia gibt es den weiterführenden Artikel „Erdbeben in Chile 2010“.

Quellen