In der zehnten Nacht brannten erstmals Autos in der Pariser Innenstadt
Paris (Frankreich), 06.11.2005 – Die schweren Unruhen in Frankreich dauern nun schon zehn Nächte in Folge an. Erstmals erreichten diese die Hauptstadt Paris selbst. Ansonsten gab es in allen Teilen Frankreichs Anschläge.
Die Polizei erkennt bisher keine landesweite zentrale Organisation der Aufstände, wie es von einigen Politikern vermutet wurde. Jedoch organisieren sich die Jugendbanden in den Städten selber und halten über Handy und Email untereinander Kontakt.
Großraum Paris
Im Großraum Paris, das heißt in Paris und in den umliegenden Departements, waren 2.300 Polizisten im Einsatz. Zum ersten Mal brannten auch Autos in der Pariser Innenstadt. Bisher waren nur die Pariser Vorstädte, wo die sozial unteren Schichten und der Großteil der Einwanderer leben, davon betroffen.
Erstmals wurden im Großraum Paris weniger Autos in Brand gesetzt als im Rest des Landes.
Paris
Erstmals wurden auch Autos in der Pariser Innenstadt selbst angezündet. Betroffen waren der 13., 19. und 20. Bezirk. Es wurden hier 28 Autos in Brand gesetzt.
Departement Seine-Saint-Denis
Das Departement Seine-Saint-Denis war bisher von den Unruhen am stärksten betroffen. In Clichy-sous-Bois selbst lag in dem Tod zweier Jugendlicher der Auslöser zu den schweren Aufständen in Frankreich. Im Departement wurden nun auch Hubschrauber gegen die Aufständigen eingesetzt. Sie filmten die Jugendlichen bei ihren Straftaten.
Laut Angaben des Radiosenders France-Info nahmen in Drancy Einwohner selbst zwei Jugendliche (14 und 15 Jahre) fest, die einen Brand legen wollten. In Blanc-Mesnil steht der Fußballtrainer Mohammed Rezzoug seit vier Tagen vor der Turnhalle Wache. Ihm haben die Jugendlichen selbst gesagt, sie würden alles kurz und klein schlagen. In Sevran haben Bürger sogar eigene Zivilfunkstreifen organisiert, die in den nächtlichen Stunden durch die Straßen patroulieren, um Brandanschläge zu verhindern. Der Radiosender France-Info interviewte am Morgen eine Frau, die in Sevran mit einem Gummiknüppel Wache hielt. Sie sagte: „Wir lösen uns ab, die ganze Nacht, wir helfen uns mit unseren Mitteln.“
Rest Frankreichs
Der Schwerpunkt der Aufstände lag in der letzten Nacht in der Stadt Évreux im Départements Eure in der Normandie etwa 100 Kilometer westlich von Paris. Hier fielen etwa 60 Autos sowie zahlreiche Geschäfte, ein Einkaufszentrum, eine Postfiliale und zwei Schulen den Aufständigen zum Opfer.
In Grigny im Departement Essonne wurde neben Autos auch ein Kindergarten in Brand gesetzt. Dies war der dritte Kindergarten, der im Ort durch die Aufständigen in Brand gesetzt wurde.
Brandanschläge wurden aus ganz Frankreich gemeldet. Unter anderem im Süden aus Avignon, Nizza, Cannes, Nantes, Toulouse und Marseille, im Norden aus Lille, Roubaix und Saint-Dizier sowie im Osten aus Straßburg, Mulhouse, Nancy, Metz und Thionvillees.
Politik
Innenminister Nicolas Sarkozy suchte in der zehnten Nacht der Unruhen Einsatzkräfte in Evry und Créteil im Departement Essonne auf, um seine Unterstützung zu bekunden. In der Frankfurter Allgemeinen am Sonntag schrieb Nicolas Sarkozy, die gewaltbereiten Jugendlichen seien „Individuen ohne Glauben und Gesetz“. Die Polizei werde „Ruhe und Ordnung in jenen Gebieten wiederherstellen, die seit zu langer Zeit schon sich selbst überlassen worden sind“.
Ministerpräsident Dominique de Villepin beriet sich am Abend mit einem ranghohen Moslem-Vertreter über die Lage in Frankreich.
Es gab auch friedliche Proteste von Anwohnern gegen die gewaltätigen Ausschreitungen. In Aulnay, nordöstlich von Paris, zogen tausende Demonstranten durch die Straßen, welche durch ausgebrannte Autos gesäumt waren. Sie trugen unter anderem Banner mit der Aufschrift „Nein zur Gewalt, ja zum Dialog“.
Wissenschaft
Laut Aussage von Experten ist der Aufstand nur ein Ausdruck angestauter Aggressionen. Die Gewalt der Jugendlichen, zumeist nordafrikanischer oder schwarzafrikanischer Herkunft, richtet sich gegen die Behandlung durch die Polizei sowie gegen Rassismus, Arbeitslosigkeit und ihre Marginalisierung in der französischen Gesellschaft.
Bilanz der zehnten Nacht
Landesweit wurden 1.295 Autos in Brand gesteckt. Neben Autos waren vermehrt auch öffentliche Gebäude, sowie Geschäfte Ziel von Anschlägen. Zwischen den Aufständigen und der Polizei gab es schwere Auseinandersetzungen. Insgesamt wurden 312 Verdächtige fesgenommen. Es wurden auf Seite der Einsatzkräfte fünf Polizisten und drei Feuerwehrleute verletzt. Auf Seite der Aufständigen soll es auch mehrere Verletzte geben. Die Polizei spricht von den schwersten Ausschreitungen seit Beginn der Unruhen.
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Quellen
- Die Welt: „Unruhen werden zum Flächenbrand“ (06.11.2005)
- Der Standard: „Vorstadt-Bewohner greifen zu Selbsthilfe“ (06.11.2005)
- Süddeutsche Zeitung: „Brennende Banlieus - die zehnte Nacht“ (06.11.2005)
- Heute: „Alarmstimmung in Frankreich“ (06.11.2005)
- Focus: „Molotow-Cocktails mitten in Paris“ (06.11.2005)
- Handelsblatt: „Unruhen werden zum Flächenbrand“ (06.11.2005)
- Aargauer Zeitung: „Erneute Chaosnacht in Frankreich“ (06.11.2005)