Deutschland: Verbraucher-Boykott des neuen Kraftstoffgemischs E10 setzt Politik unter Druck

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Veröffentlicht: 18:08, 6. Mär. 2011 (CET)
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Bundesumweltminister seit 2009: Norbert Röttgen (CDU) will E10 an den Tanksäulen durchsetzen
Bundesumweltminister 2005 - 2009: Sigmar Gabriel (SPD) wischte 2008 wissenschaftliche Bedenken gegen den neuen Biosprit beiseite.

Berlin (Deutschland), 06.03.2011 – Die Verbraucher in Deutschland boykottieren an den Zapfsäulen den angeblich umweltfreundlichen neuen Benzin-Ethanol-Kraftstoff E10. Gegenüber einer großen deutschen Boulevardzeitung verteidigte Bundesumweltminister Norbert Röttgen den neuen Kraftstoff mit den Worten: „Die Einführung von Biokraftstoff dient dazu, unsere Abhängigkeit vom Öl zu reduzieren.“ Außerdem soll die Verwendung des Kraftstoffs dazu beitragen, den Ausstoß des schädlichen Klimagases Kohlenstoffdioxid (CO2) zu vermindern.

Die Produktbezeichnung setzt sich zusammen aus „E“ für „Ethanol“ (umgangssprachlich: „Alkohol“) und der Zahl „10“ für den Ethanolanteil von 10 Prozent. Der herkömmliche Superkraftstoff hatte bisher einen Ethanolanteil von fünf Prozent (auch „E5“ genannt).

Die Klimabilanz von E10 ist unter Experten jedoch umstritten. Landwirte widmen ihre Anbauflächen um und produzieren Weizen, Mais oder Zuckerrüben für die Ethanolproduktion, weil das lukrativer ist. Der Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen empfahl dem damaligen Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD), die Produktion von Biosprit aus Mais und Raps sofort zu stoppen. Der Leiter des Beirats, Jürgen Schmid, warnte 2008 vor dem möglichen Missbrauch durch die Förderung von Mais- und Rapsanbau. Bauern in Ländern der Dritten Welt könnten dazu verleitet werden, Regenwälder abzuholzen, um die attraktiven Prämien für den Anbau von Mais und Raps zu kassieren: „Durch die Zerstörung des Urwalds wird mehr Treibhausgas freigesetzt als im Biosprit vermieden wird.“ Der Einwand des Beirats wurde vom Umweltminister Gabriel damals zurückgewiesen. Entscheidend für das Verbraucherverhalten an den Zapfsäulen ist jedoch vor allem die Befürchtung, die Motoren ihrer Fahrzeuge könnten das neue Kraftstoffgemisch, dem 10 Prozent Ethanol beigemischt sind, nicht vertragen. E10 wird gegenwärtig an ungefähr 7.000 von insgesamt 15.000 Tankstellen im deutschen Bundesgebiet angeboten. Weil die Raffinerien wegen des Verbraucherboykotts zurzeit auf dem Kraftstoff sitzen bleiben, wurde die E10-Produktion zunächst einmal gestoppt. Damit steht die Einführung des Biosprits möglicherweise vor dem Aus.

Thomas Brüner, der Leiter der BMW-Mechanikentwicklung, bestärkte in einem Interview die Zweifel an der Tauglichkeit des neuen Kraftstoffs. Wie er der „Welt am Sonntag“ sagte, nimmt die Wassermenge im Motor durch den Einsatz von Ethanol zu. Im Fahrbetrieb kondensiert das Wasser „aus den Verbrennungsgasen und gelangt ins Öl, das dadurch verdünnt wird und schneller altert.“ Die Intervalle für einen Ölwechsel müssten möglicherweise verkürzt werden. Experten empfehlen Autofahrern, die E10 tanken, häufiger ihren Ölstand zu prüfen.

Die Politik steht nun unter Druck. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) berief für Dienstag einen „Benzin-Gipfel“ ein, obwohl eigentlich Umweltminister Röttgen für die E10-Einführung zuständig ist. Der Handlungsdruck für die Politik ergibt sich auch aus der Tatsache, dass mit der E10-Einführung ein Entgegenkommen gegenüber der Automobilindustrie bei der zukünftigen Höhe des durchschnittlichen Ausstoßes des klimaschädlichen Kohlenstoffdioxids durch Kraftfahrzeuge verbunden ist: Durch den Einsatz des neuen Kraftstoffes müssen die Autos bis 2012 ihren CO2-Ausstoß nicht auf 120, sondern nur auf 130 Gramm pro Kilometer senken.

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Quellen