London: Streit in Tony Blairs Kabinett wegen Wolfowitz-Nominierung
London (Vereinigtes Königreich), 27.03.2005 – Einem Bericht des Londoner „Observer“ vom Sonntag zufolge kam es in der britischen Regierung zu einer „bitteren Auseinandersetzung“ wegen der Nominierung des bisherigen stellvertretenden Verteidigungsministers der Vereinigten Staaten, Paul Wolfowitz, zum künftigen Chef der Weltbank.
Hilary Benn, Blairs Minister für Internationale Entwicklung, ist demnach stocksauer, weil Tony Blair ihn hinsichtlich der Nominierung des gemeinhin als Falken und „Architekten des Irak-Kriegs“ eingeschätzten Wolfowitz im Unklaren gelassen habe, die Präsident George W. Bush vor vierzehn Tagen offiziell verkündete. Benn hat Blair dem Blatt zufolge einen geharnischten Brief geschrieben. - Auch Schatzkanzler Gordon Brown soll sich ihm nahestehenden Kreisen zufolge „bis zur Weißglut“ über die Nominierung empört haben. Blair sei der Plan Bushs schon vor Monaten bekannt gewesen, habe diesen den beiden Kabinettmitgliedern - beide sind auch hochrangige Weltbank-Funktionäre - jedoch vorenthalten.
Ein Mitarbeiter Blairs sagte laut „Observer“, der Premier sei mit der Nominierung Wolfowitz' „zufrieden“ gewesen. Es sei unwahrscheinlich, dass die Europäer Wolfowitz verhindern werden, falls Großbritannien ihn unterstützt, so das Blatt. Wolfowitz soll demnach beim Frühjahrstreffen der Weltbank im April ernannt werden. Allerdings sei abzusehen, dass die Europäer auf einem europäischen Wolfowitz-Stellvertreter bestehen werden. Zudem hätten die US-Amerikaner für den Fall eines europäischen Placet zugunsten von Wolfowitz bereits zugestimmt, den ehemaligen EU-Kommissar Pascal Lamy zum neuen Generaldirektor der Welthandelsorganisation WTO zu machen.
Es gebe Pläne, Wolfowitz schon am Mittwoch durch europäische Entwicklungsminister befragen zu lassen. Am Freitag soll er offiziell durch Mitglieder des Weltbankvorstands - darunter auch Hilary Benn - angehört werden.
Nach Einschätzung der britischen Zeitung könnte sich Wolfowitz' Engagement für den ehemaligen indonesischen Diktator Suharto als Stolperstein auf dem Weg an die Weltbankspitze erweisen. Der Hardliner war von 1987 bis 1989 Botschafter der USA in Indonesien unter Präsident Ronald Reagan. Damals habe Wolfowitz - der sich heute vehement als Erlöser von "Schurkenstaaten" geriert - wenig getan, die extrem blutig verlaufene Okkupation (200.000 Tote) von Ost-Timor durch Suhartos Truppen zu verhindern.
Hintergrundinformationen
- Thorsten Stegemann, Ein Neokonservativer als Entwicklungshelfer? - George W. Bush will Paul Wolfowitz zum Präsidenten der Weltbank machen. Die europäischen Regierungen haben bereits ihre Zustimmung signalisiert, doch es gibt auch deutliche Kritik (Telepolis, 26.03.2005)
- Thomas Fischermann, Christiane Greffe und Wolfgang Uchatius, Weltbank - Was will Paul Wolfowitz? - Der stellvertretende US-Verteidigungsminister soll die Weltbank übernehmen. Europäer und Kanadier proben den Aufstand - aber ganz leise ("Die Zeit", 23.03.2005)
- Weltbank-Chefposten: Frankreich fordert europäischen Aufpasser für Wolfowitz (Spiegel Online, 29.03.2005)