Diskussion:Reinhold Gall: „Polizeigesetz ist von einem Geist der Stärkung der Eingriffsbefugnisse des Staates geprägt“

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Originäre Berichterstattung[Bearbeiten]

Der Artikel war ursprünglich als Ergänzung zu dem Artikel gedacht, der als themenverwandter verlinkt ist. Damals war keine Stellungnahme der SPD verfügbar, weswegen ich Herrn Gall, der in der Landtagsfraktion für solche Themen zuständig ist, angeschrieben. Es hat nun etwas länger gedauert, weil der zuständige Arbeitskreis seine Arbeit nach der Sommerpause erst in der letzten Woche wieder aufgenommen hat. Hier sind meine Fragen mit den Antworten von Herrn Gall, die mir seine Mitarbeiterin Gitte Schwarzer per Mail zugeschickt hat. --sonicR 13:08, 22. Sep. 2008 (CEST)[Beantworten]


1. Stimmen Sie Herrn Rech zu, der das Polizeigesetz als "ein moderates und ausgewogenes Gesetz" bezeichnet, "das die Balance zwischen den Rechten der Bürger und den Bedürfnissen der Polizei" wahre?

Diese Einschätzung kann ich so nicht teilen. In meinen Augen ist das Gesetz eher von einem Geist der Stärkung der Eingriffsbefugnisse des Staates geprägt als durch Respekt für die Rechte unserer Bürgerinnen und Bürger, insbesondere für das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. So halten wir z.B. die Ausweitung der Videoüberwachung bei öffentlichen Veranstaltungen und Ansammlungen allein aufgrund abstrakter Gefährdungsbegriffe für nicht hinnehmbar. Der Einsatz automatischer Kennzeichenlesegeräte findet einen zu weiten Anwendungsbereich und bei der Datenspeicherung in Prüffällen stehen der Aufwand und die Datenfülle in keinem Verhältnis zum erwarteten Erfolg. All diese Maßnahmen stellen einen stärkeren Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger dar, deren Ergebnisse – nach unserer Einschätzung – diese steigende Intensität nicht rechtfertigen können.


2. Wie stehen Sie zu den besonders umstrittenen Passagen, wie der möglichen Ausweitung der Videoüberwachung durch die Neudefinition des Begriffs "Kriminalitätsbrennpunkt". Sowohl der Landesdatenschutzbeauftragte, als auch die baden-württembergischen Grünen haben dies kritisiert.

Mit der lokalen Eingrenzung auf Orte, an denen „sich die Kriminalitätsbekämpfung … von der des Gemeindegebiets deutlich abhebt“ und an dem „auch künftig mit … Straftaten zu rechnen ist“ wurde eine Formulierung gewählt, die dem Anliegen der Gefahrabwehr Rechnung trägt. Wir gehen davon aus, dass bei der Anwendung der neuen Rechtsgrundlage an der bisherigen Praxis im Wesentlichen festgehalten wird. In der Vergangenheit hat es sich gezeigt, dass die Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten zu Erfolgen geführt hat. Allerdings bleibt das Problem der Verlagerung der Kriminalität auch in Zukunft bestehen.


3. Befürworten Sie die Einführung der geplanten automatischen Erfassung von KFZ-Kennzeichen?

Dem Einsatz automatischer Kennzeichenlesegeräte stehen wir aus zwei Gründen sehr kritisch gegenüber.

Zum einen haben die Erfahrungen in den anderen Bundesländern gezeigt, dass der KfZ-Massenabgleich nahezu ergebnislos verläuft. Der Dauerbetrieb in Bayern mit 35 Scannern und einer Kontrolle von fünf Millionen Fahrzeugen pro Monat verzeichnete eine Trefferquote von 0,03%, wovon fast die Hälfte säumige Versicherungszahler waren. Nach einem halben Jahr Dauerbetrieb konnten „immerhin“ vier gestohlene Fahrzeuge identifiziert werden. Andere Bundesländer machten ähnliche Erfahrungen. Angesichts dieser Ergebnisse erscheint uns ein erhebliches Missverhältnis zwischen dem Aufwand und dem Ertrag zu bestehen, der die Geeignetheit des Mittels in finanzieller Hinsicht, aber gerade auch angesichts der Bindung von Personal in Frage stellt.

Zum anderen steht diese Befugnis in einem Spannungsverhältnis zum Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Eine Beschränkung dieses Rechts darf nur in engen gesetzlichen Schranken erfolgen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 11. März 2008 gesetzt hat. Der Gesetzentwurf der Landesregierung genügt diesen Anforderungen nach unserer Auffassung nicht. So überdehnt das Land seine Gesetzgebungskompetenz über den Bereich der Gefahrabwehr hinaus, indem es auch einen Abgleich mit Vergleichsdateien zur Strafverfolgung zulässt. Die Anlassschwelle für einen Einsatz automatischer Kennzeichenlesesysteme ist viel zu niedrig gesetzt – in Anbetracht des Eingriffs in die Grundrechte einer großen Vielzahl von Personen sollte sich der Einsatz auf schwere Fälle begrenzen. Und der Umfang der erhobenen Daten geht nach unserer Einschätzung weit über das notwendige hinaus – die Feststellung der Kennzeichen würden wir als ausreichend erachten.


4. Der zur Anhörung freigegebene Entwurf für ein neues Versammlungsrecht sieht unter anderem ein "Militanzverbot", längere Anmeldefristen für Demonstrationen und die Möglichkeit, den Veranstaltungsleiter und die Ordner leichter als bisher ablehnen zu dürfen, vor. Was ist Ihre Meinung zu diesen Aspekten des Entwurfs?

Der Gesetzentwurf der Landesregierung zum Versammlungsrecht erscheint ebenfalls im Lichte einer strengeren Kontrolle durch staatliche Behörden. Dies wird deutlich durch die verlängerten Anmeldefristen, die Befugnis zur Ablehnung der die Versammlung leitenden Person und besonders in der Ausweitung der Videoüberwachung in Verbindung mit der weitgehenden nachträglichen Verwendung dieser Aufzeichnungen. Die Absicht, die die Landesregierung mit dem Militanzverbot verfolgt, unterstützen wie voll umfänglich. Allerdings darf zum einen nicht aus den Augen verloren werden, dass der Grundrechtsschutz des Artikels 8 für alle Versammlungen gilt und nicht in Abhängigkeit der inhaltlichen Bewertung oder einer „gesellschaftlichen Wünschbarkeit“ gewährt wird. Zum anderen muss sichergestellt sein, dass diese Vorschrift im Geiste der Verfasser Anwendung findet und nicht als Feigenblatt für das Verbot von missliebigen Demonstrationen missbraucht wird. Die längeren Anmeldefristen sind in unseren Augen in dieser Form nicht erforderlich, Hier halten wir eine abgestufte Regelung für angemessener, die den Planungsaufwand der Polizei z.B. in Abhängigkeit der Größe und der Örtlichkeit der Veranstaltung berücksichtigt. Die Befugnis zur Ablehnung des Versammlungsleiters stellt eine neue Eingriffsqualität dar, die bislang so nicht existierte. Wir werden uns dafür einsetzen, dass diese beabsichtigte Regelung nicht geltendes Recht wird, da wir Konflikte bei Versammlungsleitern sehen, die von ihren Vereins- oder Verbandsmitgliedern durch demokratische Abstimmung mit dieser Aufgabe betraut wurden. Der Entwurf zum Versammlungsgesetz sieht nicht nur eine Vielzahl staatlicher Befugnisse vor, sondern er enthält auch Pflichten der Behörden, wie z.B. das beiderseitig geltende Kooperationsgebot. Das Ziel des Gesetzes, der Schutz friedlicher Versammlungen, wird daher nicht durch die Niederschrift allein erreicht, sondern es bedarf – gerade angesichts weitgehender Eingriffsrechte in das Versammlungsrecht nach Artikel 8 Grundgesetz – auch einer verantwortungsvollen Anwendung durch die staatlichen Organe.