Korruption oder Bürgerproteste: Wer gefährdet die öffentliche Ordnung Chinas wirklich?
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Peking (China), 15.04.2014 – Der 1. Mai, der Internationale Tag der Arbeit(er), ist nur noch ein paar Wochen entfernt. Und dieser Feiertag sollte einem Kommunisten mindestens genauso viel Freude bereiten und dementsprechende Feierlichkeiten wert sein wie der Jahrestag der eigenen siegreichen Revolution. Doch nun warnt bereits die oberste Aufsichtsbehörde der kommunistischen Partei Chinas vor Extravanganzen aus Anlass des Feiertages. Die Allgemeinheit wird aufgerufen, Verstöße gegen die Richtlinien der Partei zu melden. Wenn der Staat selbst erklärt, dass durch bestimmte Handlungen die Ordnung gefährdet sei und man ihn als gewöhnlicher Bürger dabei unterstützen möchte, die dafür Verantwortlichen zu finden und dann zu bestrafen, dann kann dies doch kaum eine Straftat sein, schließlich bemüht man sich doch gerade um die Einhaltung von Recht und Gesetz? Nein – nicht so in China. Denn was auf den ersten Blick als sehr gut aussieht, kann sich schnell als gefährlich für denjenigen herausstellen, der solche Aufrufe ernst nimmt: In Peking sind gerade zwei Aktivisten des „New Citizens Movement“ wegen Störung der öffentlichen Ordnung angeklagt. Was ist ihr Vergehen? Die beiden haben sich dafür eingesetzt, dass Politiker ihr Vermögen offenlegen, d.h. Besitz von Geld oder Wohneigentum genauso wie Geschäftsbeteiligungen, um so den Kampf gegen die Korruption zu stärken, die durch Luxus und verdeckte Geschäfte wesentlich aufrecht erhalten wird. Der Prozess, der unter erheblichen Sicherheitsvorkehrungen um das Gericht und ohne Medienvertreter stattfindet, wird von unabhängigen Beobachtern als reine Pro-forma-Angelegenheit eingeschätzt. Derartige Forderungen träfen zu viele mächtige Menschen unangenehm, weil sie erhebliches Vermögen offenlegen müssten; hier kann der Staat nur ein exemplarisch hartes Urteil durch die Justiz verhängen lassen. Das Urteil von vier Jahren Gefängnis gegen den Gründer der Gruppe, den Anwalt Xu Zhiyong, das Ende Januar 2014 erging, wurde am Freitag 11. April auch vom Berufungsgericht bestätigt. Proteste gegen das Urteil bzw. eine offene Unterstützung sind jedoch nur in Hongkong möglich, wo andere Gesetze noch die Meinungs- und Versammlungsfreiheit garantieren, obwohl auch sie auch dort zunehmend bedroht ist.
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Xu Zhiyong als Anwalt auf einer Polizeiwache 2009
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Unterstützer der New Citizens Movement in Hongkong im Januar 2014
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Xu Zhiyong
Im deutschen Strafgesetzbuch werden in der Kategorie Straftaten gegen die öffentliche Ordnung Taten wie Bildung einer kriminellen oder einer terroristischen Vereinigung (StGB § 129 und § 129a) oder Haus- (§ 123) bzw. Landfriedensbruch (§ 125 und § 125a), aber auch das Entfernen vom Unfallort (§ 142) erfasst. Wer hingegen etwa eine Ampel trotz Rotlichts überquert oder andere ähnliche Regelungen bricht, so dass zwar ein Fehlverhalten vorliegt, dem Beschuldigten aber kein moralischer Vorwurf gemacht werden kann, begeht eine Ordnungswidrigkeit und wird mit einem Bußgeld bestraft.
Das chinesische Rechtssystem sieht die Störung der öffentlichen Ordnung hingegen wesentlich anders. Jeder und alles kann im Prinzip die öffentliche Ordnung stören, wenn er sich nicht an die bestehenden Regeln hält. Die öffentliche Ordnung wird in Deutschland genauso wie in China gestört, wenn es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Ordnungskräften und Protestierern kommt, doch während das deutsche Grundgesetz jedem das Recht auf die friedliche Versammlung unter freiem Himmel gestattet, ist eine Versammlung von Menschen in China nur mit behördlicher Genehmigung erlaubt; alles andere ist eine Straftat, die entsprechend als Störung der öffentlichen Ordnung verfolgt wird. Die restriktive chinesische Medienpolitik macht es dabei allerdings oft schwer, die wahren Abläufe zu kennen, wie jüngst bei den Protesten in Maoming, wo es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam: Wer wann Gewalt angewendet hat, bleibt dabei für Außenstehende unklar (Wikinews berichtete: China: Umweltschutzproteste führen zu Gewalt). Die chinesischen Behörden schieben in jedem Falle die Schuld auf die Protestierenden und stellen ihr eigenes – auch gewalttätiges – Verhalten als Aufrechterhaltung der Ordnung dar. Dies sind Dinge, die in einem Land, in dem die Meinungsfreiheit durch das Gesetz nicht gewährleistet ist, zu erwarten sind.
Wenn es um die Aufrechterhaltung der Ordnung geht, sind besonders bei den vielen Straßenhändlern chinesischer Großstädte die als „Chengguan“ bekannten städtischen Ordnungskräfte gefürchtet, die sich um Dinge wie jede mögliche Form von „Umweltverschmutzung“ kümmern, worunter sie vor allem aber die unlizensierten mobilen Garküchen und andere mobile Händler verstehen. Diese Ordnungskräfte, deren Auftritt vom einzelnen uniformierten Mann auf einem Roller über Gruppen von uniformierten Männern in SUVs bis hin zu Einheiten mit Helmen und Schutzwesten reicht, sind für ihre oft übertriebene Gewaltanwendung bekannt. Nun kann man jedoch zumindest immer wieder mal in den Zeitungen von Gerichtsverfahren gegen einzelne Beamte lesen, so dass die Einsätze in den letzten Jahren weniger gewalttätig ausfielen und sie nun auch selbst ihr Vorgehen filmen, um sich gegen spätere Vorwürfe verteidigen zu können. Anzumerken ist dabei, dass illegale Händler auch in Deutschland von den Ordnungskräften belangt werden, doch gilt dies in der Regel als Ordnungswidrigkeit.
Die augenblickliche Staats- und Parteiführung hat es sich seit ihrem Machtantritt im Jahr 2012 zur Aufgabe gemacht, die Korruption im Land zu bekämpfen. Dabei will man sowohl gegen die „Tiger“ (die großen und mächtigen Personen) wie auch gegen die „Fliegen“ (die kleinen untergeordneten Personen) vorgehen. Die Korruption bedrohe die Herrschaft der kommunistischen Partei, wurde dazu durchaus treffend bemerkt, deshalb soll sie eingedämmt werden. Nur wenn die Herrschaft der allmächtigen Partei als gerecht empfunden wird, dann kann sie sich auch langfristig an der Macht halten. Die Korruption bedroht also durchaus die öffentliche Ordnung Chinas. Und der Kampf gegen die Korruption hat schon hochrangige Männer zu Fall gebracht, wie im Herbst 2013 den charismatischen und damit im Volk sehr beliebten Bo Xilai.
Dass die Macht der chinesischen Regierung nicht an der Landesgrenze aufhört, sondern dass sie auch im Ausland Einfluss hat, zeigt der Blick auf den Umgang mit ausländischen Reportern in China. Verschiedenen ausländischen Reportern wurde die Arbeit in China unmöglich gemacht, da ihre Visa nicht verlängert wurden. Ein einfacher Verwaltungsakt, der aber große Wirkung hat; denn Verantwortliche der betroffenen Medienfirma Bloomberg entschieden, dass eine Reportage über Korruption in China nicht länger verfolgt werden sollte. Ganz offensichtlich sah man zuviel an Geschäftsinteressen in China durch die Untersuchung einzelner Journalisten gefährdet. Im Zentrum dieser Untersuchung steht der mittlerweile im Ruhestand befindliche, aber einst hochrangige General Xu Caihou. Xu – gegen den schon längere Zeit Ermittlungen laufen sollen – wäre in der Tat der höchstrangige Militärangehörige, der wegen Korruption angeklagt wird. Entsprechend vorsichtig agiert deshalb die chinesische Justiz in diesem Fall, obwohl er als Gradmesser dafür gelten kann, wie ernsthaft man den Kampf gegen die Korruption eigentlich nimmt.
Hier muss man aber auch einmal den realen Schaden bzw. die Bedeutung der Korruption sehen, denn letztendlich dient sie nur der persönlichen Bereicherung und kann durchaus als moralisch verwerflich bezeichnet werden, trotz der enormen Bedeutung, die sie für Chinas Wirtschaft hat. Seit die Kampagne im Jahr 2013 so richtig anfing, sind der Umsatz von Restaurants, aber auch der Verkauf von Luxusgütern deutlich zurückgegangen. Spirituosen, deren Preise problemlos umgerechnet 100 Euro pro Flasche und mehr erreichten, verstauben plötzlich in den Regalen; denn ein Geschäftsessen darf kein Luxusdinner mehr sein, will man nicht in Verdacht geraten. Aber auch der Verkauf von Luxuswaren wie Sportwagen oder Schweizer Uhren hat eine empfindliche Einbuße erlebt. Öffentlich zur Schau gestellter Luxus ist ebenfalls verdächtig, aus Korruption bezahlt zu sein. Die Bank Bank of America Merrill Lynch hat geschätzt, dass das chinesische Wirtschaftswachstum im Jahr 2013 um mindestens 0,6 Prozent niedriger ausgefallen ist, weil plötzlich eine neue Sparsamkeit Einzug gehalten hat. Dies ist eine Schätzung, die sehr vorsichtig ist, und es wird von bis zu 1,5 Prozent Einbuße gesprochen, was ungefähr 135 Milliarden US-Dollar entspricht. Eine gewaltige Summe, doch wenn man sieht, dass gerade 14 Milliarden US-Dollar an Vermögenswerten im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen das ehemalige Politbüromitglied und Verantwortlichen für die Polizei Zhou Yongkang beschlagnahmt wurden, so ist man geneigt anzunehmen, dass derartige Schätzungen nur die Spitze des Eisbergs offenbaren. Und auch die chinesische Justiz, gesteuert durch die kommunistische Partei, ist bisher sehr zurückhaltend, wenn es um die direkte Anklage des einst so mächtigen Zhou Yongkang geht, und man hält sich wohl eher an die Fliegen als an den Tiger in diesem Fall.
Also protestiert man in China gegen die Zerstörung der eigenen Umwelt, gefährdet man die Ordnung des Landes, verkauft man illegal Speisen am Straßenrand, gefährdet man die Ordnung des Landes, ist man ein korrupter Beamter in der chinesischen Verwaltung, gefährdet man die öffentliche Ordnung. Aber bekämpft man die Korruption in China (zu stark), gefährdet man auch die öffentliche Ordnung, wie jüngst Chen Yun, ein einflussreiches Parteimitglied, zitiert wurde – denn in jedem neuen Fall ist nicht nur eine Person betroffen, sondern immer noch eine ganze Gruppe von Menschen: So sind etwa im Falle von Zhou Yongkang noch drei weitere oder weniger hochrangige Politiker und Beamte in den Focus der Ermittlungen geraten. Hinter diesen Personen stehen dann aber auch deren Familien, und deren Bedeutung und Verbindung zu den offiziell als Machthaber bekannten Menschen offenzulegen, gilt in China auch ohne Verdacht auf eine Straftat als Verrat eines Staatsgeheimnisses - wahrscheinlich aus gutem Grund. Die kommunistische Partei und ihre Machtstruktur droht einzustürzen, wenn man ähnlich wie bei einem Gebäude zu viele der eng miteinander verbundenen Teile daraus entfernt, selbst wenn diese die Ordnung stören. Deshalb ist die Aufrechterhaltung bzw. Gefährdung der öffentlichen Ordnung in China ein solches Problem. Denn weder das eine noch das andere kann man so einfach tolerieren wie wünschen, also auch , wenn man die Korruption ablehnt und sich für die Freiheit von kritischen Stimmen in China einsetzt.
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[Bearbeiten]- China: Umweltschutzproteste führen zu Gewalt (05.04.2014)
- Hongkong: Mit Gewalt gegen die Pressefreiheit (22.03.2014)
- „Alle Berichte und Inhalte über ‚China Offshore-Leaks‘ dringend zensieren und löschen.“ (24.01.2014)
- Die seltsame Sicht der Welt in asiatischen Medien (14.12.2013}
- Chinesische Pressestimmen zur Gerichtsverhandlung gegen Bo Xilai (28.08.2013)
Quellen
[Bearbeiten]- BBC News: „Top China official linked to Zhou Yongkang facing probe“ (19. Februar 2014)
- BBC News: „The real costs of China's anti-corruption crackdown“ (03.04.2014)
- BBC News: „China puts more corruption activists on trial“ (08.04.2014)
- BBC News: „China sacks former security chief Zhou Yongkang's associate“ (09.04.2014)
- BBC News: „China upholds sentence of rights activist Xu Zhiyong“ (11.09.2014)
- China Radio International: „Tight Disciplinary Inspection Urged during Holiday“ (05.04.2014)
- China Radio International: „Former Sichuan Official Removed for Graft“ (09.04.2014)
- China Radio International: „Guangzhou Streets to See Armed Cop Patrols“ (10.04.2014)
- CNN: „Xi Jinping's push to add 'chili pepper' to China's anti-corruption drive“ (21.03.2014)
- CNN: „Bloomberg editor resigns over handling of China story“ (31.03.2014)
- CNN: „Opinion: Transparency the only way for China to earn global trust“ (08.04.2014)
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