Deutschland: BigBrotherAwards 2007 verliehen
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Bielefeld (Deutschland), 16.10.2007 – Die Big Brother Awards 2007, Negativauszeichnungen für einen besonders bedenklichen Umgang mit sensiblen Daten, wurden in der vergangenen Woche vergeben. Die Auszeichnungen sind nach dem Großen Bruder, dem Diktator aus George Orwells Roman „1984“, benannt, der die totale Überwachung durchsetzte und selbst die Gedanken seiner Einwohner beobachten ließ.
Die deutsche Verleihung wurde vom Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V. ausgerichtet. Sie fand am 12. Oktober in Bielefeld statt.
Preisträger
Arbeitswelt
Die Auszeichnung im Bereich der Arbeitswelt ging an die Novartis Pharma GmbH. Das Unternehmen wurde für die Verletzung grundlegender Persönlichkeitsrechte durch die Bespitzelung der Angestellten ausgezeichnet. Es seien Detektive auf Arbeitnehmer angesetzt und angeblich anonym erhobene Daten ausgewertet worden, so die Anti-Laudatio der Jury.
Regional
Im der Regional-Kategorie „gewann“ die Behörde für Bildung und Sport in Hamburg. Diese hatte ein Schülerzentralregister eingerichtet und damit Familien ohne Aufenthaltserlaubnis aufgespürt. Den Preis nahm stellvertretend Alexandra Dinges-Dierig, die Senatorin für Bildung und Sport, entgegen.
Wirtschaft
Die Deutsche Bahn wurde mit dem BigBrother-Award dafür gerügt, dass sie es deutlich erschwert hat, anonym zu reisen. Neben flächendeckender Videoüberwachung und einem theoretisch standortverratenden RFID-Chip in der „Bahncard 100“, über den Kunden nicht informiert werden, wurden auch die Auflösung der Fahrkartenschalter, Automaten ohne Bargeldannahme und vieles mehr kritisiert. Die rechtswidrige Abfrage des Geburtsdatums bei Bahncards sei bereits vor Jahren beanstandet worden, es habe sich jedoch noch nichts geändert. Ein Fall wurde berichtet, in dem ein Jugendlicher, der sich weigerte, sein Geburtsdatum zu nennen, keine Bahncard für das im Voraus bezahlte Geld erhielt, sondern dieses stattdessen verloren hätte. Auch für den Fahrradverleih der Bahn in Berlin will das Unternehmen rechtswidrig das Geburtsdatum erfahren.
Ab November 2007 will die Bahn darüberhinaus per Handy weitere Daten erstellen, aus denen Bewegungsprofile erarbeitet werden können.
Obwohl es keine konkreten Hinweise auf einen Missbrauch der Daten gibt, reichte der Jury die Anhäufung sensibler und für die Inanspruchnahme der Leistungen der Bahn unnötiger Daten aus, um ihr den BigBrother-Award 2007 zu verleihen.
Verbraucherschutz
Im Bereich des Verbraucherschutzes erhielten stellvertretend für viele weiteren Hotelketten Intercontinental, Hyatt und Marriott die Auszeichnung. Die Hotelketten speichern private Daten ihrer Kunden, darunter Essgewohnheiten und Pay-TV-Wünsche, auf unbestimmte Zeit. Auch Geburtsdatum, Nationalität, Passnummer, Kreditkartennummer und weitere hochsensible Daten werden ohne Wissen der Kunden gespeichert, wobei teilweise auch illegale Taten begangen werden. Die Hotelketten stellen dabei auch Vergleiche über den Wert der Kunden an. Es besteht dabei die Gefahr, dass die zumeist auf US-Servern gespeicherten Daten in die Hände von US-Geheimdiensten fallen können. Die Jury wies auf die Gefahr hin, dass dort im Rahmen des Patriot Act Daten verwertet werden. Ein Sprecher der Hotelketten habe zugegeben, dass die Gäste keine Ahnung von den Speicherungen haben, so in der Laudatio der Jury.
Technik
Die „PTV Planung Transport Verkehr AG“ erhielt für ihr System zur individuellen Berechnung der Kfz-Versicherung mittels eines so genannten „Pay as you drive“-Systems einen Award in der Kategorie Technik. Mit Hilfe dieses Systems können Fahrtrouten und Fahrverhalten dokumentiert und an die Versicherung übermittelt werden.
Politik
In der Kategorie Politik wurde Bundesfinanzminister Peer Steinbrück mit der Negativauszeichnung geehrt. Begründet wurde dies mit der Einführung einer lebenslangen Steuer-Identifikationsnummer (Steuer-ID) für alle Einwohner der Bundesrepublik Deutschland.
Kommunikation
Steinbrücks Kabinettskollegin, Bundesjustizministerin Brigitte Zypries erhielt einen Award in der Kategorie Kommunikation für den Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung. Der Gesetzentwurf sieht eine Speicherung von Telekommunikations-Verbindungsdaten auf Vorrat vor. Die Verleiher der Awards werfen der Ministerin vor, damit bewusst die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu ignorieren.
Behörden & Verwaltung
Für die Maßnahmen gegen Gegner des G8-Gipfels im Mai dieses Jahres, insbesondere für die systematischen Briefkontrollen in Hamburg und die Anordnung, bei Gipfelgegnern Körpergeruchsproben aufzunehmen und zu konservieren, wurde der Preis in der Kategorie Behörden und Verwaltung an die Generalbundesanwältin Monika Harms vergeben.
Außer Konkurrenz
Die Organisatoren der Verleihung entschieden sich bewusst dagegen, Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble mit einem Preis zu würdigen. Begründet wurde dies mit folgenden Worten: „Zum einen wäre es falsch, sich zu sehr auf Schäuble zu konzentrieren, ihn zu dämonisieren und die Terrordebatte auf diese Weise zu verengen. Denn ‚Schäuble‘ ist nur eine Metapher für die verhängnisvolle Tendenz einer ‚Terrorismusbekämpfung‘ auf Kosten der Bürgerrechte und für eine Systemveränderung zu Lasten des demokratischen und sozialen Rechtsstaats. Und zweitens haben wir die begründete Befürchtung, dass Schäuble die Verleihung des BigBrotherAwards als besonderen Ansporn verstehen könnte, seinen Sicherheitsextremismus noch zu verstärken (...)“.
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Quellen
- bigbrotherawards.de: „Die BigBrotherAwards 2007“ (Übersicht über die Preisträger)
- bigbrotherawards.de: „Außer Konkurrenz“ (12.10.2007)
- de.wikipedia.org: „1984 (Roman)“ (08.10.2007)
- Spiegel Online via gmx.net: „Die Strafe für zu viel Datenhunger“ (Mehrere Seiten) (13.10.2007)