De Villepin neuer französischer Premierminister / Sarkozy Innenminister
Paris (Frankreich), 31.05.2005 - Nachdem Frankreich per Referendum den Entwurf für eine Verfassung der Europäischen Union zurückgewiesen hat, gab Premierminister Raffarin seinen Rücktritt mit sofortiger Wirkung bekannt, sein gesamtes Kabinett tritt ebenfalls zurück. Die Verkündung des Rücktritts erfolgte nach einem mehrstündigen Gespräch mit dem Präsidenten der Republik Jacques Chirac am heutigen Vormittag.
Neuer Regierungschef wird Dominique de Villepin sein. Es handelt sich, wie bei Raffarin, um einen Angehörigen der konservativen Partei des Präsidenten UMP (Union pour un mouvement populaire; Nachfolgerorganisation des RPR, rassemblement pour la république), die seit den Legislativwahlen von 2002 über eine deutliche absolute Mehrheit in der Assemblée Nationale verfügt (in Frankreich gibt es ein Mehrheitswahlrecht mit Ein-Mann-Wahlkreisen ähnlich Großbritannien, allerdings mit zwei Wahlgängen, wobei im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Stimmen genügt, im zweiten die relative; die UMP erreichte im ersten Wahlgang circa 33 Prozent, im zweiten circa 47 Prozent der gültigen Stimmen und verfügt nun insgesamt über 358 von 577 Wahlkreisdeputierten).
Der UMP-Parteivorsitzende Nicolas Sarkozy, dessen Anwärterschaft auf die Nachfolge Chiracs als Präsident der Republik ein selbstbekundetes Ziel ist, wird zusätzlich zu seinem Parteivorsitz das Amt des Innenministers ausüben.
Sarkozy hatte dieses Amt zuvor bereits zwei Jahre lang ausgeübt; sein Wechsel von der Regierung in das Parteiamt war ursprünglich Ausdruck eines Kompromisses bezüglich der Absteckung von „Hausmachtsphären“ zwischen den rivalisierenden Machtpolen innerhalb des bürgerlichen Lagers, die von Jaques Chirac und Nicolas Sarkozy angeführt werden. Der Wiedereinzug Sarkozys ins Kabinett kann dementsprechend als Ausdruck einer nunmehr veränderten Machtbalance interpretiert werden:
für den Präsidenten Chirac ist das „Non“ im Referendum eine persönliche Niederlage, zumal er das Referendum in Ausübung einer präsidialen Prärogative abhalten ließ: die Verfassung schreibt ein Referendum zu dieser Frage keineswegs bindend vor.
Der Präsident hatte sich bereits in seiner ersten Amtszeit durch Ausübung einer weiteren Prärogative nachhaltig „die Hände verbrannt“, indem er damals bei einer bestehenden RPR-Mehrheit Neuwahlen veranlasste, die zu einem Wahlsieg eines Mitte-Links-Bündnisses (Sozialisten, Kommunisten, Grüne, diverse Linksparteien) unter dem Sozialisten Lionel Jospin führte, das dann für fünf Jahre die Parlamentsmehrheit und damit die Regierung stellte. In diesen fünf Jahren, in denen Präsident und Regierung verschiedenen politischen Lagern angehörten (frz. cohabitation) war die materiell-politische Macht des Präsidenten krass dezimiert. Der Präsident der Republik darf die Veranlassung von Neuwahlen nur einmal und keineswegs wiederholt vornehmen.
Präsident Chirac wird sich am heutigen Dienstag um 20:00 Uhr in einer Ansprache an die Bevölkerung wenden, die von allen maßgeblichen Fernseh- und Radiostationen direkt übertragen wird.