Nordwestchina: Weitere Zusammenstöße zwischen Han-Chinesen und Uiguren

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Veröffentlicht: 21:32, 9. Jul. 2009 (CEST)
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Ürümqi ist eine Boom-Stadt.
Archivbild: Alexander Flühmann

Volksrepublik China, 09.07.2009 – Auch zwei Tage nach Beginn der Unruhen am 5. Juli hatten die chinesischen Behörden die Lage in der überwiegend von Muslimen bewohnten Provinz Xinjiang nicht unter Kontrolle. Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua meldete, auf den Straßen der Provinzhauptstadt Ürümqi würde Chaos herrschen. Offenbar waren es nun Han-Chinesen, welche die Polizeiketten durchbrachen und mit Stangen, Schaufeln und Messern ihre Wut an uigurischen Geschäften ausließen. Reuters zufolge setzte die Polizei Tränengas ein. Tausende von Polizisten und Angehörigen von Sondereinheiten mit Schutzschilden und schusssicheren Westen haben den zentralen Marktplatz abgeriegelt.

Die aufgebrachte Menge aus Männern, Frauen und Heranwachsenden skandierte „Blut um Blut“ und sang die chinesische Nationalhymne. Die Han-Chinesen in der Stadt warfen den Behörden vor, auf die Unruhen am Sonntag zu zurückhaltend reagiert zu haben. Bei den Unruhen am 5. Juli wurden 156 Personen getötet, mehr als 1.000 wurden nach amtlichen Angaben verletzt. Viele der Opfer sollen Han-Chinesen sein, die angeblich von Uiguren mit Messern getötet worden sein sollen. Es handelt sich um die schlimmsten sozialen Unruhen seit der Niederschlagung der Studentenproteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Jahr 1989.

In Teilen der Stadt wurde das Kriegsrecht verhängt, das Mobilfunknetz ist außer Betrieb, Facebook, Twitter und einige uigurische Websites wurden gesperrt. Die Behörden kündigte an, mit „schärfsten Maßnahmen“ die Ordnung wiederherzustellen. 1.434 Menschen seien von den Polizei verhaftet worden, die nun verhört würden, so hieß es. Es wurde eine nächtliche Ausgangssperre verhängt.

Am Dienstag, dem 7. Juli, haben sich hunderte von Frauen in Ürümqi versammelt, um die Freilassung von verhafteten Ehemännern und Söhnen zu verlangen. Dabei kam es vor den Augen ausländischer Journalisten zu Handgreiflichkeiten zwischen Polizei und der Menge. Ein Mann beklagte gegenüber den ausländischen Medienvertretern, denen die chinesischen Behörden eigentlich zerstörte Geschäfte vorführen wollten, Uiguren und Han-Chinesen würden ungleich behandelt. Es gab Berichte, nach denen die Polizei von Uiguren bewohnte Stadtviertel durchkämme und wahllos Personen verhafte. Ein Mädchen berichtete, sein minderjähriger Bruder sei mitten in der Nacht aus seinem Bett abgeholt worden.

Es gibt Berichte, dass sich die Unruhen auf andere Orte in der Provinz Xinjiang verbreitet haben. Xinhua berichtete, dass zweihundert Demonstranten, die sich an der Idkah-Moschee im etwa 1500 km weiter westlich gelegenen Kaschgar versammelt hätten, in Polizeigewahrsam genommen worden seien.

Chinesisches Generalkonsulat in München

Unterdessen ist es in Europa zu Übergriffen gegen chinesische Einrichtungen gekommen: Reuters meldete, dass Fensterscheiben der chinesischen Botschaft in den Niederlanden eingeworfen worden seien. Bereits am Montag, dem 6. Juli, hätten in München unbekannte Täter das chinesische Konsulat mit Molotowcocktails beworfen, erklärte ein chinesischer Regierungssprecher. Ein Vorfall sei von der Polizei in München bestätigt worden, hieß es bei Spiegel Online, es wurden jedoch keine Einzelheiten genannt. Am Rande einer Demonstration auf dem Münchener Marienplatz am 7. Juli griffen einige Uiguren eine chinesische Reisegruppe an. Die Polizei musste einschreiten. München ist mit 500 Angehörigen das Zentrum der Exil-Uiguren in Europa.

Die Vorsitzende des Uigurischen Weltkongresses Rebiya Kadeer forderte inzwischen eine internationale Untersuchung der Vorfälle in Xinjiang. Kadeer setzt dabei auf die die Europäische Union, die Vereinten Nationen und die USA. Nach Angaben der Organisation sollen Dutzende von Uiguren durch Polizisten zu Tode geprügelt oder erschossen worden sein. Die Regierung der Volksrepublik China beschuldigt Kadeer, die Unruhen angezettelt zu haben.

Die Hochkomissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Navanethem Pillay, bezeichnete die Welle der Gewalt als eine „große Tragödie“. Sie ermahnte Uiguren und Han-Chinesen, nicht weiter Gewalt zu verbreiten und den Verlust an Menschenleben nicht zu tolerieren. Die Zahl der Opfer von 156 Menschen innerhalb eines Tages sei außergewöhnlich hoch, sagte Pillay.

Die Ausschreitungen in der Provinzhauptstadt Ürümqi führten zu weiteren Reaktionen im Ausland. Der Sprecher des Weißen Hauses in Washington, Robert Gibbs, erklärte, die amerikanische Regierung sei „tief besorgt“, und ermahnte alle Seiten zur Zurückhaltung. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International forderte, dass die chinesische Regierung „vollständig Rechenschaft“ geben müsse, was Verhaftungen und Todesopfer angehe. Die Anschuldigungen aus Peking, nach denen die Demonstrationen und Übergriffe muslimischer Uiguren vom Ausland aus organisiert würden, bezeichnete der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke (CDU), als unglaubwürdig.

Beobachter weisen auf eine Parallele zu den Unruhen in Tibet 2008 hin. Auch da hätten die chinesischen Behörden Kräfte von außerhalb des Reichs der Mitte der Organisation beschuldigt und direkt den Dalai Lama der Anstiftung zu dem Mönchsaufstand beschuldigt, der nach amtlichen Angaben 19 Menschenleben forderte.

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Quellen