Interview mit Jochen Hummel (SDL) über Sprachstandards und Internationalisierung

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Artikelstatus: Fertig 14:05, 8. Feb. 2006 (CET)
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Jochen Hummel im Interview mit Wikinews

Berlin (Deutschland), 08.02.2006 – Am 12. und 13. Dezember 2005 fand im Berliner Hilton-Hotel die Konferenz „Language Standards for Global Business“ statt. Experten aus der Wirtschaft und aus Standardgruppen wie ISO und OASIS diskutierten über Standardisierung von Terminologiedatenbanken, Qualitätssicherung, Übersetzungsprozesse und andere Probleme der Internationalisierung und Lokalisierung.

Am Rande der Konferenz traf sich Wikinews-Reporter Erik Möller mit Jochen Hummel, General Manager für Europa, Asien und den Nahen Osten der Firma SDL International. Hummel begründete 1984 in Stuttgart das Unternehmen Trados, das sich in den nächsten Jahren zum Marktführer für Translation-Memory-Software entwickelte, die in der computerunterstützten Übersetzung eingesetzt wird. Im Juli 2005 übernahm das US-Unternehmen SDL, das sowohl Übersetzungssoftware als auch Dienstleistungen anbietet, für 60 Millionen US-Dollar Trados.

Wikinews: Herr Hummel, was bringt eine Konferenz über Sprachstandards?

Manchmal können Standards wie eine Art Arbeitsplatzschutz für Akademiker erscheinen. Ich hätte mir eine größere Präsenz von Produktmanagern und Entwicklern gewünscht, die konkret mit der praktischen Anwendung von Standards zu tun haben.

Standards können jedoch den Aufwand für Entwickler erheblich reduzieren. Aber oft werden Standards definiert, lange nachdem es bereits De-Facto-Industriestandards gibt. Ein Beispiel dafür wäre TMX, ein Format für Translation Memories. Dieses bildet im Wesentlichen die Funktionalität der Austauschformate der führenden Produkte nach. TMX ist natürlich eine gute Sache, aber andererseits ändert sich für die meisten Anwender in der Praxis dadurch recht wenig.

Wikinews: Welche Standards halten Sie dagegen für sinnvoll?

Zunächst natürlich die offensichtlichen: Unicode, ISO-Sprachcodes, Internationalization Tags. Übrigens sollte sich jeder Entwickler intensiver mit Unicode beschäftigen, es handelt sich nicht nur einfach um eine Zeichentabelle. Dann Austauschformate. XLIFF ist ein OASIS-Format, um zu definieren, welche Aspekte eines Dokuments übersetzt werden müssen und welche nicht, in welcher Länge usw. Bisher haben Übersetzungsbüros das manuell geleistet, alle mit eigener Methodik. Das ändert sich jetzt.

Für uns sehr wichtig ist auch der TWS-Standard (Translation Web Services). Web Services sind zwar noch sehr jung und in der Hype-Phase, aber entscheidend, um Übersetzungsdienste etwa in ein Content-Management-System zu integrieren.

Insgesamt eignen sich Standards vor allem für Austauschformate, Plattformen oder APIs. Schwieriger ist es, Qualitätssicherung, Workflow-Prozesse, Segmentierung und ähnliches zu standardisieren, da hier die Lehrmeinungen stark auseinander gehen. Entsprechend gibt es in diesen Bereichen auch relativ viel Überlappung. Auch Terminologien sind hochkomplex und folglich schwer zu standardisieren. Ein Austauschformat wie TBX ist sinnvoll, aber es ist oft kaum praktikabel möglich, mehr als eine Untermenge zu implementieren.

Wikinews: Können Standards zukünftige Entwicklungen vorweg nehmen?

Innovation kommt aus der Wissenschaft, von Entwicklern oder Hobbyisten, aber ganz selten aus einem Standarddokument. Insgesamt darf man auch nicht vergessen, dass Standards immer ein Regulierungsinstrument sind – Unternehmer und vor allem Startups wünschen sich aber eigentlich eher weniger Regulierung.

Wikinews: Warum ist Lokalisierung wichtig?

Der IT-Markt ist extrem international. Während man in den Vereinigten Staaten ein Unternehmen gründen und zum Weltmarktführer aufsteigen kann, ohne sich um Lokalisierung zu kümmern, ist das etwa mit einem deutschen Softwareprodukt nicht möglich. Man kann zwar groß werden, aber nicht weltweiter Marktführer – und wenn man sich nicht rechtzeitig um Lokalisierung kümmert, kommt früher oder später der tatsächliche Marktführer und erobert den eigenen Markt.

Weil der deutsche Markt groß genug ist, kümmern sich viele Unternehmen nicht rechtzeitig um professionelle Lokalisierung. In kleineren Ländern, etwa Israel, ist es kaum denkbar, ein Softwareprojekt ohne Lokalisierung zu starten. Leider wird Übersetzung hier zu Lande oft immer noch als notwendiges Übel betrachtet und nicht als Chance, wie ja auch die Globalisierung selbst.

Wikinews: Was kann bei der Lokalisierung von Software schief gehen?

Glücklicherweise sind die meisten Entwicklertools heutzutage mehrsprachig und nehmen den Programmierern hier einiges an Vorarbeit ab. Klassische Fehler passieren aber immer noch:

  • Code und Text werden nicht klar voneinander getrennt.
  • Es werden fixe Textlängen angenommen, auch wenn eine Übersetzung sehr viel mehr Raum benötigt als der Originaltext.
  • Texte werden kompliziert mit Variablen zusammen gefügt. Das wiederum kann zu grammatikalischen Problemen führen. Es ist oftmals sinnvoller, für jede Variation eines Textes die vollständige Textkette zu speichern. Das ist zwar redundant, erleichtert aber die Lokalisierung erheblich.
  • Unterschiedliche Entwickler verwenden verschiedene Begriffe für das gleiche Konzept. Diese Begriffe werden dann auch unterschiedlich lokalisiert. Hier macht die Verwendung einer Terminologiedatenbank Sinn.
  • Entwickler arbeiten in ihrer Muttersprache. Der gesamte Output des Entwicklerteams sollte in englischer Sprache erfolgen: Variablennamen, Quellcodekommentare, Spezifikationen ...

Wikinews: Worauf ist bei der Dokumentation zu achten?

Entwickler sollten nicht mit DTP- oder Office-Werkzeugen arbeiten. Statt dessen macht es Sinn, von Anfang an mit einem strukturierten XML-Format zu arbeiten, d.h., den gleichen objektorientierten Ansatz wie in der Softwareentwicklung auch für die Dokumentation zu nutzen.

Wikinews: Lokalisierung bedeutet nicht nur Übersetzung, sondern auch kulturelle Anpassung. Welche Fehler können hierbei passieren?

Farben und Piktogramme haben oft eine sehr unterschiedliche Bedeutung in verschiedenen Kulturkreisen. Bei Piktogrammen gilt das ganz besonders für Handzeichen: fast jedes mögliche Handzeichen entspricht irgendwo auf der Welt unserem „Stinkefinger“. Darüber hinaus gibt es Assoziationen, etwa „Glühbirne“ = „Idee“, die kulturspezifisch sind.

Um Unklarheiten und Doppeldeutigkeiten zu vermeiden, sollte man sich niemals allein auf ein Symbol oder eine Farbe verlassen, um eine Bedeutung zu transportieren. Darüber hinaus macht es Sinn, ein internationales Entwicklerteam zu bilden, da sich eine Feinfühligkeit für kulturelle Unterschiede dann ganz natürlich ausbildet.

Wikinews: Wird SDL International durch die Übernahme von Trados zum Monopolisten für Übersetzungssoftware?

Das könnte man vielleicht denken, aber der Markt ist sehr stark fragmentiert, und es gibt genügend Chancen für neue Unternehmen, Marktanteile zu erobern.

Quellen

Originäre Berichterstattung
Dieser Artikel enthält Journalismus aus erster Hand. Siehe auch die Diskussionsseite für Details.