EU-Gerichtsgutachter: VW-Gesetz verstößt gegen Europarecht

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Artikelstatus: Fertig 18:54, 13. Feb 2007 (CET)
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Luxemburg (Luxemburg) / Hannover (Deutschland), 13.02.2007 – Das 47 Jahre alte VW-Gesetz, das der Verhinderung feindlicher Übernahmen dienen soll, verstößt nach Ansicht des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofes, Damazo Ruiz-Jarabo Colomer, gegen europäisches Recht. Insbesondere sieht er in seinem heute bekanntgegebenen Gutachten darin eine Behinderung des freien Kapitalverkehrs innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Colomer empfahl dem Gericht, der vor zweieinhalb Jahren angestrengten Klage der EU-Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland stattzugeben. Porsche als größter Aktionär hält 27,4 Prozent der Aktien und unterstützt die EU-Behörde.

Die Klage der EU-Kommission ist bereits seit dem März 2005 anhängig. In ihrer Argumentation gegen das VW-Gesetz stützt sich die Kommission vor allem auf drei Punkte: Die Sonderrechte von Bundesregierung und der Landesregierung Niedersachsens, die zurzeit mit 20 Prozent nach Porsche zweitgrößter Anteilseigner bei Volkswagen ist, je zwei Aufsichtsratsmitglieder in das höchste Entscheidungsgremium des Unternehmens zu entsenden; die Beschränkung der Stimmrechtsanteile von Anlegern auf maximal 20 Prozent unabhängig von der tatsächlichen Höhe der Aktienanteile; das besondere Quorum für Abstimmungen in der Hauptversammlung des Konzerns – danach sind 80 Prozent der Stimmen für Mehrheitsentscheidungen erforderlich. Nach Ansicht des Generalanwalts schreckt die Beschränkung der Stimmrechte von Anlegern potentielle Interessenten davon ab, weitergehende Firmenanteile zu erwerben. Der Generalanwalt kritisierte das VW-Gesetz ebenso wie die Haltung der deutschen Bundesregierung in seinem Gutachten in scharfer Form: Das Gesetz beschränke den freien Kapitalverkehr und die deutsche Bundesregierung betreibe eine „zu weite und wirklichkeitsferne Argumentation, die keine zwingenden Gründe des öffentlichen Interesses für sich in Anspruch nehmen könne“.

VW-Werk in Wolfsburg

Offenbar steht ein anderer deutscher Automobilhersteller im Hintergrund des Verfahrens gegen das VW-Gesetz, der Sportwagenhersteller Porsche. Der Vorstandschef der Porsche AG, Wendelin Wiedeking, hat sich nach Angaben der EU-Kommission in schriftlicher Form sowohl an die deutsche Bundesregierung als auch an den EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy gewandt, um sie zu Schritten zur Beseitigung des VW-Gesetzes zu bewegen. Wie der Bevollmächtigte der EU-Kommission, Gerald Braun, in Luxemburg mitteilte, sieht Wiedeking in dem Gesetz eine Benachteiligung und Rechtsverletzung gegenüber dem VW-Anteilseigner Porsche. Die Firma Porsche hält zurzeit 27,4 Prozent der VW-Anteile, die mittelfristig auf 29,9 Prozent aufgestockt werden sollen. Wegen des VW-Gesetzes kann Porsche seinen Einfluss gegenwärtig jedoch nicht über den gesetzlich festgelegten 20-prozentigen Stimmenanteil hinaus ausdehnen. Außerdem ist Porsche daran gelegen, den Einfluss des Landes Niedersachsen auf die Unternehmenspolitik des VW-Konzerns zurückzudrängen. Wiedeking sagte: „Die Politik sollte sich aus den Bereichen der Wirtschaft heraushalten, die sich im internationalen Wettbewerb behaupten müssen und bei Marktversagen mit der Sanktion der Pleite bestraft werden.“ Entsprechend positiv fiel die Reaktion der Firma Porsche auf das Plädoyer des Generalanwalts aus. Ein Porschesprecher erklärte am Dienstag: „Das bestätigt unsere Haltung zum VW-Gesetz. Wir gehen davon aus, dass sich das Gericht der Position des Generalanwalts anschließen wird.“ Tatsächlich spricht die Praxis bisheriger Beschlüsse des EuGH mit hoher Wahrscheinlichkeit für ein Ende des VW-Gesetzes. Schutzklauseln, wie sie das VW-Gesetz enthält, hat das Gericht nur in wenigen Ausnahmefällen für zulässig erklärt, zum Beispiel wenn es um eine Beeinträchtigung zentraler nationaler Interessen wie der Aufrechterhaltung der Energieversorgung geht.

Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) ist der Ansicht, dass das VW-Gesetz zu einer relativ geringen Produktivität des Konzerns führe, da das Land Niedersachsen seinen nicht unbeträchtlichen Einfluss vor allem zur Sicherung der Arbeitsplätze einsetze, wodurch das Unternehmen durch vergleichsweise hohe Kosten belastet würde.

Die niedersächsische Landesregierung will dagegen am VW-Gesetz festhalten. Wie der niedersächsische Finanzminister Hartmut Möllring am Dienstag in Hannover erklärte, sieht die Landesregierung in dem Gesetz „kein Hindernis für den freien Kapitalverkehr“. Der Einstieg von Porsche bei VW sei als Beleg für diese These zu bewerten.

Nach Ansicht von Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) ist mit der Empfehlung von Generalanwalt Colomer jedoch noch keine Vorentscheidung gefallen. „Es ist nur eine gutachterliche Stellungnahme. Der Europäische Gerichtshof ist in der Vergangenheit häufig von den Gutachten abgewichen.“ Aber auch wenn das Gesetz fallen solle, bestünde keine Gefahr, dass der Volkswagenkonzern zerschlagen werden könnte. Porsche und das Land Niedersachsen als Großaktionäre könnten dies jederzeit verhindern.

Der VW-Betriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh hat die EU-Kommission wegen ihres Vorgehens gegen das VW-Gesetz scharf angegriffen. In dem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof sieht Osterloh einen „Angriff gegen die Belegschaft“, es stehe im Gegensatz zur „sozialen Marktwirtschaft“.

Das Urteil des in Straßburg ansässigen Europäischen Gerichtshofes wird im Sommer 2007 erwartet.

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Quellen