EU-Drogenbericht: Cannabis hält den ersten Platz

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Artikelstatus: Fertig 19:11, 25. Nov. 2006 (CET)
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Brüssel (Belgien), 25.11.2006 – Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD), eine Einrichtung der Europäischen Union, veröffentlichte gestern ihren Jahresbericht 2006 über den Stand der Drogenproblematik in Europa. Cannabis nimmt nach wie vor Platz eins im Handel mit illegalen Drogen ein. An zweiter Stelle liegt Kokain. Bei Jugendlichen sind vor allem Ecstasy und andere Amphetamine weiterhin im Gebrauch. Die Zahlen stiegen aber nicht weiter. Sinkende Preise für Heroin erleichtern zwar einerseits die Verfügbarkeit dieser Droge, ein wesentlicher Anreiz für einen steigenden Konsum entstand daraus bisher jedoch nicht. Entwarnung kann dennoch nicht gegeben werden. Nach dem Sturz der Taliban in Afghanistan stieg die Produktion von Opium – dem Grundstoff für die Heroinherstellung – in diesem Land so stark, dass das weltweite Angebot an Heroin die Nachfrage überstieg. Der Einfluss dieses Überangebots auf die Entwicklung des Drogenkonsums bleibt abzuwarten. Der Leiter des EBDD, Wolfgang Gotz dazu: „Die Entwicklungen in dem Land können einen Einfluss auf das Drogenproblem haben, mit dem wir zukünftig in Europa konfrontiert sein werden.“

Obwohl die Zahl drogenbedingter Todesfälle in den letzten Jahren zurückgegangen war, stieg der entsprechende Wert im Jahr 2004 wieder leicht an. Gegenwärtig liegt der geschätzte Anteil der Drogentoten durch Überdosen und andere Ursachen an der Gesamtsterblichkeit von Erwachsenen im Alter von 15 bis 49 Jahren bei 23 Prozent. Weiterhin werden in Europa auch die weltweit höchsten Quoten der Beschlagnahmung von Heroin verzeichnet. Der Heroinerstkonsum ist indes rückläufig.

Cannabis

Cannabis nimmt weiterhin den Spitzenplatz im Handel und Konsum illegaler Drogen ein. Haupterzeugerländer sind Marokko, Pakistan und Afghanistan. Weltweit werden jährlich schätzungsweise 7.400 Tonnen Cannabisharz hergestellt. Die Länder der Europäischen Union werden hauptsächlich über Marokko bedient. Global wurden im Jahr 2003 schätzungsweise 40.000 Tonnen Cannabiskraut hergestellt. 2004 wurden weltweit insgesamt 1.471 Tonnen Cannabisharz und 6.189 Tonnen Cannabiskraut beschlagnahmt. In den europäischen Ländern lag der durchschnittliche Preis für Cannabisharz bei 2,30 Euro pro Gramm (Portugal) und über 12 Euro pro Gramm in Norwegen. Meist bewegten sich die Preise für diese Droge zwischen fünf und zehn Euro pro Gramm. Die inflationsbereinigten Preise sanken im Durchschnitt leicht.

Der Konsum dieser illegalen Droge ist in den 1990-er Jahren in Europa gestiegen. Ein Zuwachs ist besonders bei Jugendlichen zu verzeichnen. 65 Millionen erwachsene Europäer (rund 20 Prozent der 15- bis 64-Jährigen) haben Schätzungen zufolge wenigstens einmal Cannabis probiert. Rund sieben Prozent dieser Altersgruppe haben in den letzten zwölf Monaten Cannabisprodukte konsumiert. Zum Vergleich: In den Vereinigten Staaten haben 40,2 Prozent der Einwohner ab 12 Jahren mindestens einmal im Leben Cannabisprodukte konsumiert. Die EBDD schätzt, dass in Europa etwa drei Millionen Menschen leben, die täglich oder fast täglich Cannabisprodukte zu sich nehmen.

Untersuchungen an Schulen in der Europäischen Union haben ergeben, dass hier kein signifikanter Anstieg des Cannabiskonsums zu verzeichnen war.

Der Verbrauch von Cannabis führte zu einer erhöhten Nachfrage nach ärztlichen Behandlungen. Die größte Nachfrage nach Therapien im Zusammenhang mit dem Konsum von Cannabis wurde in ambulanten Behandlungszentren registriert. Mehrere europäische Länder, vor allem die Niederlande, Deutschland und Frankreich verfügen über ein gut ausgebautes Netz von Drogenberatungsstellen, an die sich suchtgefährdete Jugendliche wenden können. Positive Erfolge werden dabei vor allem umfassenden sozialpädagogischen Verfahren zugeschrieben.

Kokain

Die Bedeutung dieses Alkaloids, das aus dem Cocastrauch gewonnen wird, als Rauschmittel steigt weiter. Nach Schätzungen der EBDD haben 10 Millionen Europäer (über drei Prozent aller Erwachsenen) diese Droge bereits einmal probiert. Hauptsächliche Konsumentengruppe sind die jungen männlichen Erwachsenen im Alter von 15 bis 34 Jahren in städtischen Regionen mit großen Unterschieden zwischen den einzelnen Benutzergruppen. Eine weitere Beobachtung besagt, dass Kokain häufig in Kombination mit anderen Drogen konsumiert wird, insbesondere mit Cannabis (rund 32 Prozent), Opioiden (rund 29 Prozent) und Alkohol (17 Prozent).

Im weltweiten illegalen Drogenhandel liegt Kokain nach wie vor hinter Cannabis an zweiter Stelle. 2004 wurden weltweit 578 Tonnen Kokain beschlagnahmt. Größte Lieferanten von illegalem Kokain sind Kolumbien, Peru und Bolivien. Von Südamerika aus gelangt das Kokain direkt, teilweise auch über Mittelamerika auf den europäischen Markt. In Europa sind Spanien, die Niederlande, Portugal sowie Belgien, Frankreich und das Vereinigte Königreich Haupteinfallstore für diese illegale Droge auf den europäischen Markt. Schärfere Kontrollen an der spanischen Nordküste sowie am Amsterdamer Flughafen Schiphol haben jedoch dazu geführt, dass alternative Vertriebsrouten an Bedeutung gewannen: Afrika und teilweise auch Osteuropa. Im Jahr 2004 wurden in der Europäischen Union 74 Tonnen Kokain beschlagnahmt. Die Preise bewegten sich zwischen 41 Euro pro Gramm in Belgien und über 100 Euro pro Gramm in Zypern, Rumänien und Norwegen. Die inflationsbereinigten Durchschnittspreise sanken im Allgemeinen.

Eine steigende Zahl von Patienten begibt sich wegen Erkrankungen im Zusammenhang mit der Einnahme von Kokain in ärztliche Behandlung. Einer Studie zufolge ist der Anteil von Erstpatienten, die sich wegen Kokainkonsum in Behandlung begaben, zwischen 1999 bis 2004 von zehn auf 20 Prozent gestiegen. Gegenwärtig sind für Kokainkonsumenten noch keine effektiven Behandlungsmethoden verfügbar. Die Behandlung von Crack-Süchtigen stellt aufgrund ihrer sozialen Isolation ein besonderes Problem dar. Diese Gruppe ist jedoch in nur einigen wenigen europäischen Großstädten konzentriert. Positive Effekte bei der Behandlung konnten durch Behandlungsprogramme im Rahmen aufsuchender Sozialarbeit erzielt werden.

Amphetamine, Ecstasy und so weiter

Bei diesen synthetischen Drogen handelt es sich um Stimulanzien, die auf das zentrale Nervensystem einwirken. In der Gesamtbevölkerung haben diese Drogen eine eher geringe Bedeutung. Bei Jugendlichen spielen sie jedoch eine oft bedeutende Rolle. In einigen Ländern belegten sie hinter Cannabis den Platz zwei der illegalen Drogen. Die weltweite Produktion von Amphetaminen und Ecstasy wird auf 520 Tonnen jährlich geschätzt. 2004 wurden 29 Tonnen dieser Substanzen beschlagnahmt, tendenziell weniger als in den Jahren davor.

Die Herstellung der synthetischen Drogen erfolgt weitgehend in illegalen westeuropäischen Laboren. Führend sind dabei Belgien, die Niederlande und Polen. 2004 lagen die Verkaufspreise für diese Substanzgruppe zwischen vier Euro pro Gramm (Slowenien) und über 64 Euro pro Gramm in Malta. Die Preistendenz ist in den letzten Jahren ebenfalls fallend.

In der Herstellung der Modedroge Ecstasy sind die Niederlande weltweit führend, in Europa kommen dann noch Labore in Belgien, Estland, Spanien und Norwegen hinzu. Westeuropa bildet immer noch das Zentrum des weltweiten Handels mit dieser Droge. 2004 wurden hier 50 Prozent des weltweit sichergestellten Ecstasys (Gesamtmenge des beschlagnahmten Ecstasys: 8,5 Tonnen) sichergestellt. Das Vereinigte Königreich führt die Statistik der sichergestellten Ecstasy-Mengen an, vor Deutschland, Frankreich und den Niederlanden. Die Ecstasy-Preise schwankten in Europa zwischen 15 und 25 Euro pro Gramm.

Tendenziell sind gleichbleibende oder sogar sinkende Konsumraten bei dieser Gruppe illegaler Drogen zu verzeichnen. Etwas gestiegen sind Nachfrage und Verfügbarkeit von halluzinogenen Pilzen. Die vorliegenden Daten weisen jedoch darauf hin, dass aus dem Konsum dieser Substanzen nur selten eine langfristige Abhängigkeit entsteht. Über akute oder chronische gesundheitliche Probleme im Zusammenhang mit dem Konsum dieser Substanzen wurde kaum berichtet. Gesetzliche Regelungen in diesem Bereich wurden teilweise verschärft. Pilze mit solchen halluzinogenen Inhaltsstoffen wurden nur selten sichergestellt.

Drogenkriminalität: politische und rechtliche Entwicklungen

In mehreren Ländern wurden nationale Pläne zur Bekämpfung des illegalen Drogenhandels und -konsums beschlossen. In einigen Ländern wurden frühere Aktionspläne evaluiert und die Ziele spezifischer und abrechenbarer formuliert. Aus den vorliegenden Berichten zieht die EBDD den Schluss: „Die nationalen Drogenstrategien beginnen, spürbare Wirkung zu entfalten.“

Auf EU-Ebene werden vor allem zwei wichtige Maßnahmen zur Bekämpfung der Drogenkriminalität hervorgehoben. Diese stehen im Zusammenhang mit den 2004 erlassenen EG-Verordnungen über Grundstoffe. Durch die Kontrolle chemischer Grundstoffe, die für die Herstellung illegaler Substanzen benötigt werden, kann das Angebot an illegalen Drogen auf europäischer Ebene beeinflusst werden. Weiterhin wurden Maßnahmen zur Strafverfolgung weiter koordiniert. So gab es einen „Rahmenbeschluss zur Harmonisierung der Mindeststrafen im Bereich des Drogenhandels“. Neue rechtliche Instrumente erschweren außerdem die Finanzierung von Drogengeschäften. Die „Richtlinie 91/308/EWG“ soll die Nutzung des europäischen Finanzsystems für Zwecke der Geldwäsche unterbinden.

Auf EU-Ebene liegt bisher noch keine Definition für den Begriff der Drogenkriminalität vor. Bisher liegen auf europäischer Ebene nur Daten aus dem Bereich der Verstöße gegen die entsprechende Gesetzgebung auf staatlichen Ebenen vor. Aufgrund der unterschiedlichen Gesetzgebung in den Mitgliedsstaaten der EU sind vergleichende Aussagen nur eingeschränkt möglich. Insgesamt zeigte sich in den letzten fünf Jahren ein Anstieg der Drogenkriminalität, in Polen stiegen die Delikte in diesem Bereich in den letzten fünf Jahren sogar um das Doppelte. In den einzelnen Ländern der EU ist die Entwicklung jedoch sehr unterschiedlich. Cannabis steht am häufigsten in Verbindung mit den gemeldeten Drogendelikten. Ein abweichendes Bild zeichnet die Statistik für die Tschechische Republik und Litauen. Hier wurden die meisten Drogendelikte im Zusammenhang mit Amphetaminen verzeichnet. Ein relativ einheitliches Bild bietet die Entwicklung der Kriminalität in Verbindung mit Kokain. Seit 1999 sind in den meisten Ländern die Zahl der berichteten Straftaten in Zusammenhang mit Kokain gestiegen. (Ausnahme: Bulgarien. Hier sank die Zahl der kokainbezogenen Straftaten.)

Ein europaweiter Trend in der Rechtsprechung ist die Unterscheidung zwischen Drogenkonsum und Drogenhandel. Der Handel mit illegalen Drogen wird allgemein härter bestraft. Der Schwerpunkt beim Konsum illegaler Drogen verschiebt sich weiter zugunsten drogentherapeutischer Maßnahmen.

Maßnahmen zur Bekämpfung der Drogenproblematik

Hier stehen vor allem Maßnahmen zur Suchtprävention im Vordergrund, die vor allem Jugendliche als Zielgruppe ansprechen sollen. Diese erstrecken sich auf die Arbeit im Bereich des Gesundheitswesens, des Bildungswesens, der polizeilichen Präventionsarbeit und so weiter. An Bedeutung gewonnen hat insbesondere die familienbasierte Präventionsarbeit, da immer mehr jüngere Kinder in Kontakt mit Drogen kommen. In nahezu allen EU-Ländern sind differenzierte Programme zur Drogenprävention implementiert.

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Quellen