Ägypten: Mubarak tritt ab

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Veröffentlicht: 09:50, 12. Feb. 2011 (CET)
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Demonstranten auf dem zentralen Kairoer Tahrir-Platz (09.02.2011). Seit 18 Tagen war der Platz der zentrale Anlaufpunkt für die Demonstranten in Kairo

Kairo (Ägypten), 12.02.2011 – Der ägyptische Präsident Husni Mubarak hat nach wochenlangen Protesten, bei denen sein Rücktritt gefordert worden war, den lange erwarteten Schritt vollzogen und den Rücktritt von seinem Amt erklärt. Das sagte Vizepräsident Omar Suleiman gestern im staatlichen Fernsehen. Weiter hieß es in der Erklärung, ein Militärrat werden zunächst die Amtsgeschäfte übernehmen. Die Nachricht wurde von den demonstrierenden Menschen auf dem Kairoer Tahrir-Platz, auf dem sich gestern erneut hunderttausende Menschen eingefunden hatten, mit Begeisterung aufgenommen. Zuvor war Mubarak nach Scharm el-Scheich geflogen.

Wörtlich erklärte Vize-Präsident Suleiman am Freitag um 17:06 Uhr (MEZ): „Unter diesen schwierigen Umständen, die das Land derzeit durchmacht, hat Präsident Husni Mubarak entschieden, das Amt des Präsidenten niederzulegen. Er hat das Militär damit beauftragt, die Amtsgeschäfte zu führen.“ An der Spitze des Militärrates, der den Übergang von der Ära Mubarak zu einer neuen historischen Entwicklungsphase der ägyptischen Gesellschaft führen soll, steht der bisherige Verteidigungsminister des Landes, Mohammed Hussein Tantawi.

Laut Medienberichten war der US-Präsident Barack Obama wenige Stunden vor der Bekanntgabe über den beabsichtigten Rücktritt des ägyptischen Präsidenten informiert. Der Präsident befand sich gerade auf einer Sitzung im Oval Office des Weißen Hauses. Am Abend äußerte sich der US-Präsident zu den Ereignissen des Tages in Ägypten. Er sagte, wir alle seien Zeuge eines historischen Moments. Der heutige Tag sei nicht das Ende, sondern der Anfang eines Transformationsprozesses, zu dem noch viele Fragen offen seien. Obama lobte die Rolle des Militärs bei dem Umbruch in Ägypten. Die nächsten Schritte auf diesem Weg seien die Ausarbeitung einer neuen Verfassung, die Aufhebung des Ausnahmezustandes und freie Wahlen. Die USA stünden bereit, dem ägyptischen Volk bei diesem Übergangsprozess zu helfen.

Auf den Straßen Ägyptens herrscht unterdessen ein wahrer Freudentaumel. Die Menschen ziehen mit ägyptischen Fahnen jubelnd durch die Straßen, begleitet von hupenden Autos – darunter auch zahlreiche Soldaten. Zwischen den begeisterten Demonstranten und Soldaten kommt es zu Verbrüderungsszenen, berichten Pressekorrespondenten.

Husni Mubarak hatte 1981, nach der Ermordung seines Vorgängers Anwar as-Sadat, das Amt des Präsidenten übernommen. Er war als ehemaliger Luftwaffenoffizier ein Mann des Militärs, das jetzt wieder die politische Macht ausübt. Der Militärapparat gilt als Staat im Staate Ägyptens. Es besitzt eine eigene Gerichtsbarkeit und nimmt aktiv am Wirtschaftsleben des Landes teil. Unter anderem betreibt das Militär dank US-amerikanischer Dollar-Milliarden, die als Militärhilfen gewährt wurden, Einkaufszentren, Strandhotels, ganze Wüstenstädte und Casinos. Die Offiziere haben in der ägyptischen Gesellschaft eine privilegierte Stellung inne. Im Laufe der 18-tägigen Massenproteste hatte sich das Militär neutral verhalten. Nachdem die Demonstranten von Anhängern der Regierung angegriffen wurden, stellte es sich schützend zwischen die rivalisierenden Gruppierungen. Die Meinungsäußerungen der Demonstranten, die nach dem seit Jahrzehnten geltenden Ausnahmezustand eigentlich verboten sind, wurden vom Militär ausdrücklich toleriert. Auf dem Tahrir-Platz teilten Soldaten Handzettel aus, auf denen zu lesen stand: „Ihr habt das Recht, eure Meinung in zivilisierter Art und Weise auszudrücken“ und: „Wir erkennen die Legitimität der Forderungen der Bürger an, wir werden keine Gewalt gegen die Bürger einsetzen.“ Dabei nahm das Militär in den letzten Wochen nicht immer eine einheitliche Haltung gegenüber Mubarak ein. Teile der Armee unterstützten nach wie vor Mubarak. So ließ die Luftwaffe zur Einschüchterung der Demonstranten am 30. Januar Kampfflugzeuge im Tiefflug über Kairo hinweg fliegen.

Die Massenproteste der letzten Wochen hatten sich an sozialen Fragen wie der Massenarbeitslosigkeit und steigenden Lebensmittelpreisen, aber auch an der Korruption der herrschenden Elite, die die lukrativen Einnahmen aus der Entwicklungshilfe, Ölverkäufen und dem Suezkanal in die eigenen Taschen umleitete, und eines aufgeblähten Beamtenapparates entzündet. Nach Berechnungen der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) erreichten die Preise für Grundnahrungsmittel im Januar 2011 einen neuen Höchststand. Darunter litten insbesondere arme Länder. Rund drei Viertel der 83 Millionen Einwohner Ägyptens leben in prekären Lebensverhältnissen. 20 Prozent aller Ägypter gelten als arm. Die Polizei profitierte vom System Mubarak. Polizeistationen betrieben zum Teil ihre eigenen Geschäfte, zum Beispiel Schutzgelderpressung und Drogenhandel. Um die politische Opposition im Lande zum Schweigen zu bringen, bediente sich die politische Führung eines übermächtigen Unterdrückungsapparates, insbesondere der Geheimpolizei (der Mabahith amn ad-daula al-ulya), die dem Innenministerium unterstand.

Mubarak selbst profitierte offenbar wesentlich von diesem System aus Korruption und politischer Unterdrückung berichtet die Deutsche Welle, wenn auch die Quellen seines Vermögens nur schwer im Einzelnen nachvollzogen werden können. Das Vermögen des Familienclans der Mubaraks wird auf 40 Milliarden US-Dollar geschätzt. Daniel Thelesklaf, Vorstandsmitglied von Transparency International Schweiz, erklärte in einem Interview mit der Deutschen Welle dazu: „Wenn man das vergleicht mit dem ehemaligen Präsidenten von Nigeria, Herrn Abacha, der war nur wenige Jahre im Amt und hat es auch auf fünf bis sechs Milliarden gebracht. So gesehen ist es nicht unmöglich, dass man sich eine Milliarde pro Amtsjahr zusammenstiehlt.“ Gamal Mubarak, der Sohn des Ex-Präsidenten, gilt als reichstes Familienmitglied. Der ägyptische Wirtschaftsexperte Ahmed el Naggar hat eine plausible Erklärung dafür entwickelt, wie Gamal Mubarak, den Einfluss seines Vaters nutzend, ein solches Vermögen anhäufen konnte: „Ägypten musste seine Staatsanleihen auf internationalen Finanzmärkten verkaufen, weil die Kreditglaubwürdigkeit Ägyptens und seine Fähigkeit, Schulden abzubezahlen, allgemein angezweifelt wurden. Das war Ende der 1980er-, Anfang der 1990er-Jahre. Die Staatsanleihen wurden damals für 35 Prozent ihres Nennwerts verkauft. Gamal Mubarak hat diese Staatsanleihen gekauft, weil ihm garantiert wurde, dass er vom ägyptischen Staat zu 100 Prozent den Nennwert bekommt - und das natürlich durch den Einfluss seines Vaters Husni Mubarak.“ Der größte Teil des Mubarak-Vermögens soll sich Medienberichten zufolge auf Konten ausländischer Banken befinden, unter anderem bei den Schweizer Geschäftsbanken UBS und Credit Suisse.

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Quellen