UN: Untersuchungsbericht über Hariri-Mord vorgelegt

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New York (Vereinigte Staaten), 21.10.2005 – Der UN-Sonderermittler Detlev Mehlis übergab gestern dem UNO-Generalsekretär Kofi Annan den Bericht der Kommission, die das Attentat auf den ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq Hariri drei Monate lang untersucht hatte. In dem Bericht werden schwerwiegende Verdachtsmomente gegen höchste Stellen sowohl in Syrien als auch in der ehemaligen pro-syrischen Regierung des Libanon vorgebracht.

Hintergrund

Der libanesische Ministerpräsident war am 14. Februar 2005 durch ein Bombenattentat auf seinen Wagenkonvoi in Beirut getötet worden. Das Attentat hatte im Libanon zu Massenprotesten geführt (so genannte Zedernrevolution), und die syrische Regierung war beschuldigt worden, für das Attentat verantwortlich zu sein. Danach hatte der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1595 beschlossen, in der eine Untersuchungskommission unter internationaler Beteiligung eingesetzt wurde, die die Hintergründe des Attentats im Libanon untersuchen sollte. Mit der Leitung dieser Kommission betraute der UN-Generalsekretär den deutschen Staatsanwalt Detlev Mehlis. Die Kommission trägt die offizielle Bezeichnung „International Independent Investigation Commission“ (UNIIIC).

Bilanz der Kommissionsarbeit

Die Kommission nahm am 16. Juni 2005 ihre Arbeit auf. Bis zum 6. Oktober des Jahres, dem Tag der Fertigstellung des Berichts, wurden 244 Zeugen vernommen, 60.000 Dokumente geprüft, 293 Aktennotizen und 22 Zeugenaussagen veröffentlicht. Die gesammelten Dokumente nehmen einen Umfang von 16.711 Seiten an. Der dem UN-Generalsekretär vorgelegte Bericht, der in Kürze dem UNO-Sicherheitsrat vorgelegt werden wird, umfasst allerdings nur 54 Seiten.

Die Kommission legte trotz der umfangreichen Arbeit lediglich einen Vorbericht vor, da die Ermittlungsarbeit wegen verschiedener Hindernisse noch nicht abgeschlossen werden konnte. Die gezogenen Schlussfolgerungen sind aber nicht weniger brisant, wenn auch diplomatisch verklausuliert:

„In Anbetracht der Infiltration der libanesischen Institutionen und ihrer Gesellschaft durch das Tandem des syrischen und libanesischen Geheimdienstes, wäre es sehr schwierig, sich ein Szenario vorzustellen, in dem eine derartig komplexe Attentatsplanung ohne ihr Wissen ausgeführt worden sein könnte.“

Politischer Kontext

Die Untersuchungskommission ist dem politischen Kontext des Attentats in den Wochen und Monaten vor dem Attentat nachgegangen und zu dem Schluss gekommen, dass die angewachsenen Spannungen zwischen dem syrischen Präsidenten Assad und dem libanesischen Präsidenten Hariri den Schlüssel zum Verständnis des Attentats liefern. Am 26. August 2004 war es zwischen den beiden Staatsmännern zu einem zehn- bis fünfzehnminütigen Gespräch gekommen, in dessen Verlauf Assad die Verlängerung der Amtszeit des libanesischen (und prosyrischen) Staatspräsidenten Émile Lahoud gefordert hatte. Diese Forderung war von Hariri jedoch zurückgewiesen worden.

Die Zusammenarbeit mit Syrien

Hier setzte die Untersuchungskommission auch an. Sie verlangte von den syrischen Behörden, mit Zeugen aus Syrien bis hinauf zum syrischen Präsidenten Assad zu sprechen. Die syrische Seite war dazu jedoch nicht bereit. Stattdessen wurden schriftliche Aussagen der genannten Zeugen (mit Ausnahme des Präsidenten, der für eine Befragung nicht zur Verfügung stehe) bei einem Treffen in Genf an die Kommission übergeben. Auf weiteres Insistieren der Untersuchungskommission war es gestattet worden, mit syrischen Zeugen zu sprechen, jedoch nur in Anwesenheit syrischer Behördenvertreter. Die Kommission schätzte die Aussagen dieser Zeugen so ein, dass die Fragen in uniformer Weise gegeben wurden. Durch Vergleich mit anderen gewonnen Erkenntnissen kam die Untersuchungskommission zu dem Schluss, dass die Aussagen gefälscht waren. Das UNIIIC stellte sogar fest, dass Aussagen, die in einem Brief des syrischen Außenministers enthalten waren und zur Aufklärung dienen sollten, nicht der Wahrheit entsprachen.

Tatortmanagement

Die Art und Weise des Tatortmanagements unmittelbar nach dem Attentat legte ebenfalls die Schlussfolgerung nahe, dass auch im Libanon im Hintergrund mächtige Interessen die Fäden zogen, um eine Aufklärung des Verbrechens zu unterbinden. Beweise wurden nicht gesichert. Bis heute ist es nicht möglich gewesen festzustellen, welcher Sprengstoff bei dem Attentat verwendet worden war. Bereits einen Tag nach dem Attentat wurden zerstörte Fahrzeuge vom Tatort entfernt, der Explosionskrater zugeschüttet und die Straße wieder für den Verkehr freigegeben.

Durch den Einsatz vieler Untersuchungsteams (unter anderem aus Australien, der Schweiz, Japan, Holland und Deutschland) gelang es nachträglich, noch einige Beweise zu sichern. Dem deutschen forensischen Team gelang zumindest der Nachweis, dass die Explosion oberirdisch ausgelöst worden war und dass dafür ein Lieferwagen der Marke Toyota verwendet wurde, mit dessen Hilfe etwa 1.000 Kilogramm Sprengstoff zur Detonation gebracht worden waren.

Im Verlauf der Untersuchung wurde klar, dass eine monatelange Vorbereitung des Attentats vorausgegangen war, bei dem der libanesische Präsident einer intensiven Überwachung ausgesetzt war. Bei der Ausführung wurden technisch hochentwickelte Geräte benutzt, und es muss eine umfangreiche Logistik gegeben haben. Dies deutet nach Ansicht der Kommission auf eine Verwicklung der Geheimdienste hin. Der benutzte Lieferwagen stammt wahrscheinlich aus einer syrischen Militäreinheit. Eine bedeutende Rolle spielten bei den Untersuchungen auch geführte Telefongespräche. Eines davon soll kurz vor dem Attentat zwischen dem libanesischen Präsidenten Lahoud und einem mutmaßlichen Attentäter stattgefunden haben. Im Verlauf der Ermittlungen wurden bereits einige hochrangige Generäle und Mitglieder der Sicherheitsorgane inhaftiert. Dadurch gelang es der Kommission, in der libanesischen Bevölkerung das Vertrauen in die libanesischen Sicherheitsorgane wieder herzustellen, das durch das katastrophale Tatortmanagement in Verruf geraten war. Weiteren Aufschluss über die Verantwortlichen auf libanesischer und syrischer Seite könne jedoch nur eine Fortsetzung der Untersuchung bringen, die den vorhandenen Spuren weiter nachgehen sollte, so die Kommission.

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Quellen