Regierungserklärung: Kanzlerin Merkel setzt auf weitere Reformen

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Artikelstatus: Fertig 23:07, 30. Nov. 2005 (CET)
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Berlin (Deutschland), 30.11.2005 – Die neu gewählte Bundeskanzlerin Angela Merkel hat heute im Bundestag ihre erste Regierungserklärung für die große Koalition abgegeben. Darin bekannte sie sich zur Fortsetzung des Reformkurses unter der Regierung Schröder. Als einen Schwerpunkt ihres Regierungsprogramms nannte die Kanzlerin die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Den Erfolg ihrer Regierung wolle sie daran messen lassen, ob es gelinge in diesem Bereich Fortschritte zu erzielen.

Als weitere Arbeitsschwerpunkte der großen Koalition nannte die Kanzlerin die Föderalismusreform, die Bildungs- und Hochschulpolitik, die „Bändigung“ der Staatsverschuldung sowie die Reform des Gesundheits- und Rentensystems einschließlich der Pflegeversicherung.

Arbeitsmarktpolitik

Kernpunkt ihrer Arbeitsmarktpolitik sei die Reform des Arbeitsrechts, die Neueinstellungen erleichtern solle. Sie verwies in diesem Zusammenhang auf die im Koalitionsvertrag vereinbarte Verlängerung der Probezeit auf künftig 24 Monate. Als weitere Elemente der Arbeitsmarktpolitik nannte sie betriebliche Bündnisse für Arbeit, womit eine Umgehung tarifvertraglicher Vereinbarungen gemeint ist. Auf der anderen Seite betonte sie ausdrücklich das Festhalten der großen Koalition an der Tarifautonomie der Tarifparteien und bekannte sich auch zur Mitbestimmung.

Wirtschafts- und Steuerpolitik

Merkel verteidigte die ab 2007 geplante Mehrwertsteuererhöhung und die geplanten Einschnitte für Renter und Arbeitslose. Für das Jahr 2008 kündigte sie eine Unternehmenssteuerreform an, versprach Maßnahmen zum Bürokratieabbau und die Einführung eines einkommensabhängigen Elterngeldes.

Sozialpolitik

Merkel dankte ihrem Amtsvorgänger Gerhard Schröder ausdrücklich für dessen Eintreten für eine Modernisierung der Sozialsysteme. Mit der „Agenda 2010“ habe er „mutig und entschlossen eine Tür aufgestoßen“. Schröder habe diese Politik auch gegen Widerstände durchgesetzt. Damit habe er sich „um unser Land verdient gemacht“.

Sie warb für den Ausbau der Kinderbetreuung wie er im Koalitionsvertrag festgelegt worden sei. Den Kommunen müssten die dazu notwendigen Gelder „aber auch zur Verfügung stehen“.

Insgesamt müssten als Aufgabe der Sozialpolitik „sozial Schwache unterstützt werden“, es sei jedoch „ungerecht, wenn sich Starke als Schwache verkleiden und damit die Gemeinschaft ausnutzen“.

Kulturpolitik

Unter diesem Stichwort setzte sich die Regierungschefin mit der Frage der Integration von Ausländern auseinander. Zuwanderer müssten die deutsche Sprache erlernen. Sie sprach sich für einen „Dialog mit dem Islam“ aus, kritisierte jedoch scharf die Entstehung so genannter Parallelgesellschaften mit „Ehrenmorden und Zwangsheirat“. Solche Erscheinungen hätten „in unserer Gesellschaft nichts zu suchen“, betonte Merkel unter Beifall. „Parallelgesellschaften, in denen die Grundwerte der Allgemeinheit nicht geachtet werden, passen nicht in dieses Denken.“ Mit der Anbindung einer Migrationsbeauftragten der Bundesregierung an das Kanzleramt wolle sie in dieser Hinsicht ein Signal setzen.

Außenpolitik

Merkel bekräftigte die Absicht der neuen Bundesregierung die Beziehungen zu den USA zu stärken. Sowohl bei der Überwindung der Krise der Europäischen Union als auch bei der Unterstützung des Friedensprozesses im Nahen Osten werde sich Deutschland als verlässlicher Partner erweisen. Sie bekannte sich in diesem Zusammenhang ausdrücklich zu Israel. Den Iran warnte sie ausdrücklich davor, sich der Kontrolle der Internationalen Atomaufsichtsbehörde zu entziehen. In ihrer Rede ging die Kanzlerin auch auf die Entführung der ersten deutschen Geisel im Irak ein. Die Bundesregierung werde sich nicht erpressen lassen, betonte sie. Und: „Genauso klar ist: Alle Anstrengungen der Bundesregierung sind in dieser Situation darauf gerichtet, das Leben von Susanne Osthoff und ihrem irakischen Begleiter zu schützen und ihre Freilassung erreichen.“ Im Kampf gegen den Terror dürfe Deutschland nicht nachlassen.

Zum Thema der europäischen Integration äußerte sich Merkel dahingehend, dass Beitrittskandidaten zur EU die geforderten Bedingungen „uneingeschränkt“ erfüllen müssten. Die Beitrittsgespräche dürften nicht automatisch in einen Beitritt münden.

Geheimgehaltene CIA-Gefangenentransporte

In der Frage der so genannten CIA-Gefangenentransporte, über die die europäischen Medien in der letzten Woche berichtet hatten, erklärte die Kanzlerin in der Regierungserklärung, die Koalition vertraue darauf, dass die amerikanische Regierung die Besorgnis in Europa ernst nehme.

Der neue Bundesaußenminister Steinmeier, der gerade von seinem Antrittsbesuch aus den USA zurückgekommen war, ergriff zu diesem Thema in der Bundestagsdebatte ebenfalls das Wort. „Wir brauchen Aufklärung“, sagte er. „Ich habe aber nach den Gesprächen in Washington den Eindruck, dass das verstanden worden ist“, betonte der SPD-Politiker. „Und ich hoffe, dass die Antwort auf die europäischen Fragen zeitnah kommt und Klarheit schafft.“

Struck unterstützte die Regierungserklärung für die SPD-Fraktion

In der Aussprache über die Regierungserklärung, die in den nächsten Tagen fortgesetzt wird, erklärte der Fraktionsvorsitzende der SPD, Peter Struck, der Koalitionsvertrag sei „eine solide Grundlage“ für die Regierungsarbeit. Als wesentliche Aufgabe der neuen Regierung bezeichnete Struck das Ziel, „den Staat wieder handlungsfähig machen“. Um dieses Ziel zu erreichen hätten sich die beiden großen Volksparteien aus ihren Gräben herausbewegt. Alle gesellschaftlichen Kräfte forderte er dazu auf, sich auf einen „offenen Dialog“ über die Regierungspolitik einzulassen. Den im Koalitionsvertrag vereinbarten Ausbau der Kinderbetreuung, der Ganztagsschulen und der erneuerbaren Energien bezeichnete der SPD-Fraktionsvorsitzende als erste Erfolg der neuen Bundesregierung.

FDP kritisiert Regierungsprogramm

Die Kritik der FDP, die von ihrem Fraktionsvorsitzenden Guido Westerwelle vorgebracht wurde, richtete sich vor allem gegen die Steuerpolitik. Der Staat solle sich auf seine eigentlichen Aufgaben konzentrieren und weniger regulierend eingreifen. Die Politik der großen Koalition laufe aber auf eine höhere steuerliche Belastung der Bürger hinaus. Die Regierungspolitik kritisierte er als eine „Stärkung des Sozialstaats“.

Linkspartei kritisiert Steuererhöhungen

Unter dem Beifall der FDP nahm der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Gregor Gysi, ebenfalls die Steuerpolitik der Bundesregierung aufs Korn. Durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer verordne die Regierung „Armut per Gesetz“. Im Hinblick auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer warf er der SPD Wahlbetrug vor. Die ökonomischen und sozialen Probleme des Landes würden durch diese Politik verschärft, anstatt sie zu lösen.

Kuhn (Grüne) vermisst eine „klare Richtung“

Für die Grünen erklärte ihr Fraktionsvorsitzender Fritz Kuhn, Merkel habe in ihrer Regierungserklärung viele einzelne Punkte dargelegt, jedoch keine klare Richtung erkennen lassen.

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Quellen