Piratenpartei will FDP und Grünen in Hessen das bürgerliche Lager streitig machen

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Veröffentlicht: 11:41, 19. Jan. 2008 (CET)
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Wiesbaden (Deutschland), 19.01.2008 – Die noch junge „Piratenpartei“ zielt mit ihrer politischen Agenda vor allem auf die Themenbereiche „Offene Wissensgesellschaft“ und das „Informationelle Selbstbestimmungsrecht“ der Bürger. Wer hinter dem provokativen Namen eine Spaßpartei vermutet, irrt. Die Bundespartei kann bereits neun Landesverbände vorweisen, den stärksten in Bayern. Die Piratenpartei tritt nun erstmals in Deutschland zu Wahlen an, mit ernsthaften Ambitionen. 0,3 Prozent der Stimmen seien momentan realistische Erwartungswerte, so der 39-jährige gelernte Informatiker und Spitzenkandidat der hessischen Piratenpartei, Thorsten Wirth. Ein Prozent der Stimmen wären, so Wirth, ein „traumhaftes Ergebnis“.

Informatiker, Bürgerrechtler, Künstler, Lehrer - das Spektrum der Parteimitglieder ist weit. Die derzeit zirka 700 Parteimitglieder sind überdurchschnittlich technikinteressiert und durch eine gemeinsame Erkenntnis geeint: „Viele Politiker sind naiv und technikgläubig, obwohl sie von der Materie, über die sie entscheiden, keine Ahnung haben. [...] Die meisten Politiker sind einfach beratungsresistent und deshalb wollen wir selbst Politik gestalten“[1]: Derzeit klagt die Partei zusammen mit dem Chaos-Computer-Club (CCC) gegen den Einsatz der hessischen Wahlcomputer. In einem ausführlichen Bericht hatten Mitglieder des CCC die Manipulationsmöglichkeiten der Wahlmaschinen dokumentiert.[2]

In der Wahlvorbereitung lebt die Partei vor allem vom Engagement ihrer Mitglieder. Mit einem Budget von nur 1.000 Euro wird in Hessen Wahlkampf betrieben, sowohl mit Plakaten und Ständen auf der Straße als auch auf heimischem Terrain - im Netz. „Von den Grünen und der FDP gab es schon Abwerbeversuche per E-Mail. Die hätten auch gerne so engagierte Mitglieder“[1], freut sich Wirth.

Öffentlicher und freier Umgang mit Information, das haben sich die Piraten auf die Fahne geschrieben und machen damit auch nicht vor sich selbst halt: Ganz im Sinne der Open-Source-Bewegung stehen Parteiprogramm und Satzung in einem Wiki offen zur Verfügung, können kritisiert, ergänzt oder verändert werden.[3] Zentrale Forderungen der Piratenpartei, welche vor Allem Interessenbereiche junger Leute ansprechen, sind auf ihrer Website zusammengefasst.[4]

Der Name „Piratenpartei“ entstand in Anlehnung an die Musik-Piraterie, das von der Musikindustrie verfolgte und zunehmend gesetzlich verbotene Verteilen und Tauschen von Musik und anderen medialen Inhalten. „Die Politiker haben nicht auf ihre Wähler gehört, sondern auf die Interessen einer Industrie von vorgestern. Das hat dazu geführt, dass 20 Prozent der Wähler kriminalisiert wurden“, so Rick Falkvinge, Mitgründer der schwedischen Piratenpartei.[5] Der offene Umgang mit Informationen, medialen Inhalten und Know-how sei der Wirtschaft zuträglich, so die Piraten. „Dass freie Standards viel erfolgreicher und sinnvoller sind, hat das Fraunhofer-Institut bewiesen, als es MP3 freigab. Das war ein großer Segen. Das hat weltweit Tausende Arbeitsplätze geschaffen“[1], so Wirth gegenüber der Süddeutschen Zeitung.

Die Spezialisierung auf Themen, die vor allem diejenigen Menschen ansprechen, die sich von der aktuellen Gesetzgebung verprellt und kriminalisiert fühlen, soll den Erfolg bringen: Vorratsdatenspeicherung, Bundestrojaner, Kennzeichenerfassung, Reformierung des Abhörgesetzes, Überwachungskameras, biometrischer Pass - Reizthemen in der potentiellen Klientel der Piratenpartei. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich eine kleine Partei auf diesem Weg durchsetzt. Die Grünen konnten sich als Spartenpartei durch die Besetzung des Umwelt- und Anti-Kernkraft-Diskurses in der Bundesrepublik etablieren. Die Linkspartei hat die Agenda-Reformen der SPD parteipolitisch auszunutzen verstanden. Ob die Piratenpartei mit ihren Kernthemen den richtigen Kurs gesetzt hat, bleibt abzuwarten. Angesichts der demographischen Entwicklung versprechen Themen wie Rente, Sicherheit und Umwelt Wahlerfolge, Themen zu denen die Spartenpartei keine Aussagen trifft. „Entern oder Kentern“,[1] so titelt die Süddeutsche Zeitung über die Piratenpartei – Die Wahlen in Hessen könnten dabei richtungsweisend sein.

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Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 sueddeutsche.de: „Entern oder kentern“ (10.01.2008)
  2. Chaos Computer Club (CCC): „Chaos Computer Club fordert Verbot von Wahlcomputern in Deutschland“ (5.Okt.2006)
  3. piratenpartei.de/: „Piratenpartei Deutschland“ (Stand 10.01.2008)
  4. piratenpartei.de/: „Piratenpartei Deutschland – Ziele“ (Stand 10.01.2008)
  5. sueddeutsche.de: „Bereit zum Entern“ (10.08.2006)

Quellen