Peking: Der Dalai Lama und die Waisenkinder

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Veröffentlicht: 16:01, 17. Oktober 2013 (CEST)
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Peking (China), 17.10.2013 – Im September 2013 veröffentlichte die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) eine kleine Reihe von Artikeln, in der es um das Schicksal von rund 200 tibetischen Kindern ging, die Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts in die Schweiz kamen. In einer Pressekonferenz verurteilte eine Sprecherin des chinesischen Aussenministeriums in Peking diese Ereignisse nun mehr als einen Monat nach ihrem Bekanntwerden scharf und verbreitete dies auch in nahezu gleichlautenden Meldungen in verschiedenen englischsprachigen chinesischen Medien, um eine möglichst breite Öffentlichkeit zu erreichen.

Die NZZ selbst nahm den Film „Tibi und seine Mütter“ des Schweizer Dokumentarfilmmachers Ueli Meier, in dem dieser das Schicksal eines Kindes darstellt, zum Anlaß für ihre Artikel. Nach der Flucht des Dalai Lama nach Indien 1959 waren diesem viele seiner tibetischen Landsleute gefolgt. Als deren Lebensumstände in Europa bekannt wurden, startete der 1981 verstorbene schweizerische Unternehmer Charles Aeschimann eine private Initative, um tibetischen Waisenkindern eine neue Familie in Europa zu geben. Ihm halfen der Bruder des Dalai Lama, Thubten Norbu, der damals für die UNO in Genf tätig war, sowie die Schwester des Dalai Lama, die im indischen Dharamsala ein Waisenhaus betrieb. Die Kinder kamen ursprünglich als Pflegekinder in die Familien, und eine Gruppe wurde in einem Kinderheim untergebracht. Klar ist dabei nur, dass der Dalai Lama eine Erziehung dieser Kinder nach westlichem Vorbild wollte. Aus den Pflegekindern wurden dann aber später oft auf deren eigenes Drängen hin Adoptivkinder, und die Kenntnisse über Tibet gingen bei vielen verloren, da sie als kleine Kinder in die Schweiz gekommen waren und wenig Kontakt zu einander hatten. Dass es sich bei den wenigsten der Kinder, nämlich nur 19, um wirkliche Waisen handelte und die anderen zumindest noch einen lebenden Elternteil hatten, als sie in die Schweiz kamen, blieb zwar nicht unbekannt, aber dem Schweizer Roten Kreuz war es nicht immer möglich Kontakte zu vermitteln. Selbst da wo es Kontakte zu den Ursprungsfamilien gab, traten bei vielen der Kinder im Laufe der Zeit große Probleme auf. Heute hat nur etwa ein Drittel gute Kontakte zu den Familien in Tibet, ein Drittel hat lockere Kontakte, und der Rest hat überhaupt keinen Kontakt. Der ursprüngliche Plan, dass die Kinder als z.B. gut ausgebildete Ärzte und Ingenieure nach Indien zurückkehren und dort etwa für die tibetische Exilregierung tätig werden sollten, wurde von niemandem verwirklicht.

Die chinesische Regierung forderte nun alle gerechtigkeitsliebenden Menschen dazu auf, diese Vorgänge, die von der nach chinesichem Sprachgebrauch „Clique des Dalai Lama“ inszeniert worden sind, zu verurteilen. Der Dalai Lama habe, so die Sprecherin des Außenministeriums, die Rechte der Kinder mit Füßen getreten und allgemein anerkannte Ethik und Moral verletzt. Ein Kommentar der englischsprachigen Ausgabe der Parteizeitung Renmin Ribao (People′s Daily) spart dabei nicht mit diffamierenden Worten. So wird gesagt, der Dalai Lama habe die Kinder als politische Instrumente zur Manipulation genutzt, wo die Kinder zu Schachfiguren wurden, um sich in der Öffentlichkeit in ein gutes Licht zurücken. Die Zeitung fordert vom Dalai Lama eine Aufklärung der Weltöffentlichkeit und der Tibeter über seine, so die Zeitung „verwerfliche Tat“ und nennt den Vorgang ein „verabscheuendswürdiges Verbrechen gegen das tibetische Volk“, dem die „Clique des Dalai Lama“ mit„Ignoranz und ohne Reue“ für ihre Tat begegne.

Dass die chinesische Regierung selbst erst kürzlich Millionen an Tibetern zwangsumgesiedelt hat, bleibt dabei unerwähnt. Auch von den sogenannten „Tibetschulen“ in China spricht niemand. In diesen Schulen werden auch fern von Tibet allein tibetische Kinder unterrichtet. Einerseits sicherlich eine positive Initative, für Kinder, in deren Heimat es auch heute nur sehr schlechte Bildungschancen gibt. Dass diese Kinder dabei aber fraglos im Sinne der chinesischen Regierung beinflusst werden, bleibt dabei ungesagt. Dass man so verhindern möchte, dass Kinder in buddhistischen Klöstern keineswegs nur zu Mönchen erzogen werden, sondern dort auch eine Schulbildung erhalten, ist dabei ebenfalls kein Thema. Die chinesischen Medien beziehen sich in ihrer Darstellung allein auf den auf das persönliche Schicksal eines Kindes fixierten Film von Ueli Meier und stellen diesen dann auch noch in einer allein auf eine Schlagzeile bedachten Art und Weise dar. Dass in diesem speziellen Fall sehr viel Naivität und widerstreitende Interessen und Meinungen in der Schweiz und wenig professionelles Management herrschten, wie es die NZZ ausführlich erläutert, wird von den Chinesen dabei nur nebenbei erwähnt. Allein ein neuer Schlag im Propagandakrieg gegen den Dalai Lama ist der chinesischen Regierung hier einmal wieder wichtig.


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