In Hessen darf mit Wahlcomputern abgestimmt werden

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Veröffentlicht: 17:26, 26. Jan. 2008 (CET)
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Wiesbaden (Deutschland), 26.01.2008 – Diesen Sonntag darf in Hessen mit Wahlcomputern abgestimmt werden. Der hessische Staatsgerichtshof entschied zugunsten des hessischen Wahlleiters. Gegen sein Vorhaben, am Wahlsonntag in Hessen Computer zur Stimmabgabe einzusetzen, hatte eine Wahlberechtigte mit Unterstützung des Chaos Computer Clubs (CCC) und der Piratenpartei geklagt. Das Gericht erklärte, „später nicht nachweisbare Manipulationen an den Wahlmaschinen seien nicht zu befürchten“.[1]

In Holland wurde ein bauähnliches Gerät innerhalb von 60 Sekunden vor laufender Kamera manipuliert. Nachdem es mit Geräten desselben Herstellers in den Niederlanden zu Unregelmäßigkeiten gekommen war, wurde in den Niederlanden von Wahlcomputern wieder auf Papierwahl umgestellt.

Mathias Schindler, Vorstandsmitglied von Wikimedia Deutschland, sah sich einen Computer-Testlauf mit der aktuellen Geräteserie als Wahlbeobachter in der Stadt Langen bei Frankfurt an und dokumentierte seine Erfahrungen in seinem Blog.[2] Im Rahmen des Testlaufs wurde elektronisch und auf Papier abgestimmt. Auftretenden Unregelmäßigkeiten konnten durch eine Zählung der Papierzettel kontrolliert werden, zwei falsche Ergebnisse konnten nicht ausgeräumt werden. „Das Spannende dabei ist aber vor allem, dass der Wahlleiter keinen Moment darüber nachgedacht hat, dass das auch ein Fehler des Computers sein könnte. Das ist methodisch eher fragwürdig“, so Schindler. Die Wahlcomputer, die in Hessen eingesetzt werden sollen, geben keine Wahlquittungen aus, die im Nachhinein zur Überprüfung herangezogen werden könnten. Sollten Fehler oder Manipulationen auftreten, so sei es nicht mehr möglich diese Unstimmigkeiten rückwirkend festzustellen und auszuräumen, so Mitglieder des CCC. Aus diesem Grund hatte der Chaos-Computer-Club und die Piratenpartei die Klage gegen den Einsatz der Wahlcomputer unterstützt.

Während der Politikwissenschaftler Christoph Bieber sich zufrieden über das Urteil äußerte – „Die Geräte haben alle Probedurchläufe bestanden, mit einem oder Null Fehlern. Die Entscheidung des Staatsgerichtshofs ist richtig“[3] – hat Mathias Schindler noch Bedenken gegen den Einsatz der Wahlcomputer. In den Niederlanden gab es einen Manipulationsfall, der die Unerfahrenheit im Umgang mit dem Gerät ausnutzte. Die Wahlprozedur an der Wahlmaschine verlangt nach einer vorgegebenen Reihenfolge, wird diese nicht eingehalten, wird die Stimme nicht regelgerecht abgegeben. Der Wahlvorstand musste in diesem Fall entscheiden ob die Stimme abgegeben wurde oder nicht. In den Niederlanden hat ein Wahlhelfer diese Lücke ausgenutzt, nicht auf die verlorenen Stimmen hingewiesen, und sie zu seinem Vorteil verbucht. Die Manipulation konnte nachträglich nur durch statistische Auffälligkeiten dieses Wahlkreises rekonstruiert werden, da es ebenfalls keine Kontrollmöglichkeit durch Papierstimmen oder Wahlquittungen gab. „Man weiß zwar nicht zu 100 Prozent, wie die Manipulation genau gelaufen ist, aber klar ist, dass die Computer-Unerfahrenheit des Wahlvorstandes und der Wähler dort gezielt ausgenutzt worden ist.“[4]

Gerade in jungen Demokratien wie Estland werde, „anders als in Deutschland, keine Technologiefeindlichkeit an den Tag gelegt“, so Bieber[3]. Der Politologe richtet diesen Vorwurf auch an den Chaos-Computer-Club der seine Mitglieder vor allem aus Technik-affinen Interessengruppen rekrutiert, und an die Piratenpartei, die ihrerseits zu den Wahlen antritt, um Technikkompetenz in den Landtag zu tragen: „Der Chaos Computer Club (CCC) hat den Verbotsantrag geschickt inszeniert. […] Dem Chaos Computer Club gelingt es einfach sehr gut, mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen aufzufallen“, sagte Christoph Bieber.[3] Fälschungen seien außerdem auch bei Wahlen auf Papier möglich.

Auf einen entscheidenden Unterschied zu Papierwahlen wies Mathias Schindler gegenüber jetzt.de jedoch hin: Der Grundsatz der geheimen Wahl sei durch den Einsatz von Computern womöglich nicht mehr sichergestellt. Dieser Grundsatz soll vor allem gewährleisten, dass jeder Bürger der jeweils bevorzugten Partei oder dem Kandidatenkombination seine Stimme geben kann, ohne bedroht oder unter Druck gesetzt werden zu können. „Bei niederländischen Geräten war es auf 25 Meter Entfernung möglich, die gewählte Partei zu identifizieren, weil die elektromagnetische Abstrahlung bei der Auswahl unterschiedlich war.“[4] Wenn von außen nachvollzogen werden kann, wer für welche Partei gestimmt hat, könnte damit im Vorfeld Druck auf Wähler ausgeübt werden. Aus diesem Grund werden in Hessen nur verbesserte Wahlgerätetypen mit einer softwaregesteuerten Verrauschung der Abstrahlungen eingesetzt. So kann Risiko des elektromagnetischen Ausspähens zwar erheblich reduziert, jedoch nicht vollständig ausgeschlossen werden.[5]

Um trotz der Zulassung der Wahlcomputer die Wahrung der Grundsätze allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl sicher zu stellen, wirbt Mathias Schindler mit einem offenen Brief[6] für den aktiven Einsatz als Wahlbeobachter bei den hessischen Landtagswahlen an diesem Sonntag.

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Einzelnachweise

  1. sueddeutsche.de: „Landtagswahl in Hessen. Elektronische Wahlhelfer erlaubt“ (23.01.2008)
  2. Blog Mathias Schindler: „Am bleiernen Faden – Teil 1“ (10.10.2008)
  3. 3,0 3,1 3,2 sueddeutsche.de: „Wahlcomputer: „Papierwahlen kann ich viel einfacher fälschen““ (24.01.2008)
  4. 4,0 4,1 jetzt.de: „Sicherheitsproblem Wahlcomputer: Beobachter für die Landtagswahl in Hessen gesucht“ (23.01.2008)
  5. Wahlrecht.de: „Innenministerium erteilte Bauartzulassung für verbesserte Wahlcomputertypen“ (30.11.2007)
  6. berlin.ccc.de: „Wahlbeobachtungen/OffenerBrief“ (Stand 24.01.2008)

Quellen