Georgien: Regierende Partei Georgischer Traum erhält Mehrheit der Stimmen bei Kommunalwahlen

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Veröffentlicht: 15:25, 7. Okt. 2021 (CEST)
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Die regierende Partei Georgischer Traum erhielt 47,6 Prozent der Stimmen.
Logo der Partei Georgischer Traum

Georgien, 07.10.2021 – Inmitten politischer Spannungen fanden am 2. Oktober in Georgien Kommunalwahlen statt, die weitgehend als entscheidender Test für die Regierungspartei Georgischer Traum angesehen wurden. Die Partei erhielt 47,6 Prozent der Stimmen, während die wichtigste Oppositionspartei Vereinte Nationale Bewegung (ENM) mit 27,1 Prozent der Stimmen den zweiten Platz belegte. Der Rest der Stimmen verteilte sich nach Angaben von Radio Liberty auf die übrigen 48 Parteien. Bei den landesweiten Wahlen wurde auch über 64 Bürgermeisterämter entschieden.

Nationale Spannungen

Die Spannungen im Vorfeld der Wahlen waren groß und gipfelten in der Verhaftung des ehemaligen Präsidenten Micheil Saakaschwili nach seiner Rückkehr aus dem Exil am 1. Oktober. Saakaschwili ist der Gründer der größten Oppositionspartei: der Vereinten Nationalen Bewegung. In einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP sagte der ehemalige Präsident aus dem Gefängnis heraus: „Georgien braucht einen friedlichen Übergang zu einer echten Demokratie, in der politische Gegner nicht aufgrund gefälschter Anschuldigungen eingesperrt oder ins Exil gezwungen werden.“

Saakaschwili verließ Georgien 2013 und wurde 2018 in Abwesenheit wegen mehrfachen Machtmissbrauchs in Georgien zu sechs Jahren Haft verurteilt. Der ehemalige Präsident streitet die Vorwürfe ab.

Georgien befindet sich seit Oktober 2020 in einer politischen Krise, als Oppositionsgruppen den Sieg der regierenden Traumpartei bei den Parlamentswahlen anzweifelten. Am 19. April 2021 konnte unter Vermittlung der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union eine Einigung erzielt werden. In einer Pressekonferenz am 28. Juli 2021 gab die Georgische Traumpartei jedoch bekannt, aus der Vereinbarung auszusteigen.

Gemäß der Vereinbarung vom April sollten im Jahr 2022 Neuwahlen abgehalten werden, falls die Regierungspartei bei den Kommunalwahlen nicht 43 Prozent der Stimmen erhalten würde.

Die nun vorliegenden Wahlergebnisse zeigen, dass die Regierungspartei Georgischer Traum in den großen Ballungszentren vor Herausforderungen steht, wie die unabhängige Nachrichtenseite OC Media berichtet: „In allen fünf selbstverwalteten Städten wird es zu Stichwahlen zwischen der ENM und Georgischer Traum kommen, auch in der Hauptstadt Tiflis.“

Der Wahltag

Der Wahltag verlief nicht ohne Zwischenfälle: Beobachter berichteten von Angriffen auf Journalisten, Stimmenkauf und „Karussell-Wählern“. Das Innenministerium erklärte, es habe 16 strafrechtliche Ermittlungen im Zusammenhang mit den am Wahltag gemeldeten Vorfällen eingeleitet.

In seiner Erklärung nach der Wahl erklärte das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte der OSZE:

„Die Kommunalwahlen vom 2. Oktober verliefen im Großen und Ganzen reibungslos, fanden jedoch vor dem Hintergrund einer langwierigen politischen Krise statt und waren durch eine starke Polarisierung gekennzeichnet. Die Kandidaten konnten ihren Wahlkampf ungehindert in einem wettbewerbsorientierten Umfeld führen, das jedoch durch weit verbreitete und anhaltende Vorwürfe der Einschüchterung, des Stimmenkaufs, des Drucks auf Kandidaten und Wähler und ungleicher Wettbewerbsbedingungen beeinträchtigt wurde.“

Die Wahlen erregten internationales Aufsehen, auch in den USA. Die US-Botschafterin in Georgien, Kelly Degnan, sagte gegenüber lokalen Medien: „Ich habe viele Anfragen von meinen Kollegen in Washington erhalten, unter anderem aus dem Außenministerium, dem Weißen Haus und dem Kongress, die das Geschehen ebenfalls aufmerksam verfolgen.“

Am 3. Oktober wertete die amtierende Präsidentin Salome Surabischwili die Wahlergebnisse aus und kam zu dem Schluss, dass „trotz des schwierigen politischen und polarisierten Wahlumfelds gesagt werden kann, dass die Kommunalwahlen in Georgien in einem ruhigen, fairen, sicheren und kompetitiven Umfeld ohne nennenswerte Verstöße stattgefunden haben“.

Transparency International Georgia, das die Wahlen am 2. Oktober mit über 300 Beobachtern überwacht hat, kam zu einem anderen Ergebnis:

„Die Analyse des Umfelds vor den Wahlen und am Wahltag hat gezeigt, dass es der Regierung immer noch am politischen Willen mangelt, Wahlen nach hohen demokratischen Standards abzuhalten, und dass das Land noch weit von den Zielen der ehrgeizigen Wahlreform entfernt ist.“

Aussichten

In einer Erklärung, die von der Delegation der Europäischen Union in Abstimmung mit den Botschaften der Mitgliedsstaaten herausgegeben wurde, wurde festgestellt, dass die Wahlen zwar „im Großen und Ganzen ordnungsgemäß durchgeführt wurden“, aber auch „von einer starken Polarisierung geprägt waren“.

„Mit Blick auf den zweiten Wahlgang ruft die Europäische Union die Behörden und alle politischen Parteien auf, dringend zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen, um einen fairen Wahlverlauf zu gewährleisten. Die gemeldeten Missstände dürfen nicht zur Norm werden. Wir erwarten auch eine glaubwürdige und rasche Untersuchung aller Beschwerden, einschließlich der Berichte über Einschüchterung und Gewalt gegen Journalisten.“

Viele Beobachter sind sich einig, dass das Land auf eine Phase der Instabilität zusteuert. Olesya Vartanyan, leitende Analystin der International Crisis Group, sagte gegenüber Radio Liberty: „Die heutige Abstimmung ist wahrscheinlich der Höhepunkt einer monatelangen politischen Krise, die Georgien in weitere Instabilität und geringere Entwicklungsaussichten stürzen könnte.“


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Quellen[Bearbeiten]