Fall Sarrazin: SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles unter Druck

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Veröffentlicht: 15:06, 27. Apr. 2011 (CEST)
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Andrea Nahles (Archiv-Foto 2010)
Thilo Sarrazin, Autor des Bestsellers „Deutschland schafft sich ab“, bei einer Buchpräsentation August 2010

Berlin (Deutschland), 27.04.2011 – Die Entscheidung der Berliner SPD-Schiedskommission für einen Verbleib Thilo Sarrazins in der SPD kommt an der SPD-Basis offenbar nicht überall gut an. Vor allem die mit dem Fall betraute Generalsekretärin Andrea Nahles gerät zunehmend unter Druck. Die Juso-Bezirksvorsitzenden aus Süd- und Nordhessen sowie der Landesvorsitzende der Jusos in Hessen bezeichneten die Entscheidung im Fall Sarrazin als „beschämend“. Thilo Sarrazin habe mit seiner Erklärung seine rassistischen und sozialdarwinistischen Äußerungen nicht ausdrücklich zurückgenommen. Als Konsequenz fordern die Jungsozialisten nun den Rücktritt der Generalsekretärin.

Einige Berliner Sozialdemokraten in Führungsfunktionen hatten gestern eine Online-Petition gestartet, in der sie ihrem Unmut lautstark Ausdruck verliehen. In ihrer „Berliner Erklärung“ heißt es: „Viele Menschen in Berlin, in der gesamten Bundesrepublik und auch im Ausland haben kein Verständnis für das Ergebnis und den Verfahrensablauf des Parteiordnungsverfahrens gegen Genossen Dr. Thilo Sarrazin.“ Das SPD-Mitglied Mehmet Tanriverdi, Gießener Stadtverordneter und Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland (BAGIV) und in dieser Funktion auch Mitglied des Integrationsbeirats der Bundesregierung, zeigte sich tief enttäuscht von dem Vorgang, den er für einen historischen Fehler der SPD hält und erklärte seinen Austritt aus seiner Partei.

Bekannte Sozialdemokraten der Führungsebene der Partei stellten sich dagegen ausdrücklich hinter die Entscheidung der Schiedskommission. Der ehemalige Parteivorsitzende und rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck verteidigte die Entscheidung mit den Worten, Sarrazin habe sich einsichtig gezeigt. Ähnlich äußerte sich der frühere Hamburger Oberbürgermeister Klaus von Dohnanyi. Er gab den Medien wegen ihrer mehrfachen Vorabveröffentlichungen eine Mitschuld daran, dass Sarrazin „vielfach missverstanden“ worden sei. Dohnanyi war als Verteidiger Sarrazins vor der SPD-Schiedskommission aufgetreten.

Scharfe Kritik kam auch von außerhalb der SPD. Vertreter von Muslimen und Juden zeigten kein Verständnis für die Entscheidung. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“: „Die SPD drückt sich um eine klare, schonungslose Auseinandersetzung mit Thilo Sarrazin und seinen destruktiven Thesen.“ Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, selbst SPD-Mitglied, sagte, die Entscheidung sei kein glorreicher Tag der Sozialdemokratie gewesen und fügte hinzu: „Es wäre richtig und besser gewesen, für einen Ausschluss Sarrazins zu kämpfen, auch auf das Risiko einer Niederlage hin.“ Er wolle jedoch SPD-Mitglied bleiben.

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