Erdbeben in Sichuan: Wettlauf mit der Zeit

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Veröffentlicht: 17:05, 16. Mai 2008 (CEST)
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Erdrutsche haben viele Straßen unpassierbar gemacht.
Foto: old bacon

Chengdu (Volksrepublik China), 16.05.2008 – Mehr als drei Tage nach dem sehr schweren Erdbeben, dessen Epizentrum in der zentralchinesischen Provinz Sichuan lag, haben sich die Bemühungen der Rettungsmannschaften zu einem Wettlauf mit der Zeit entwickelt. Ministerpräsident Wen Jiabao sprach gestern von dem zerstörerischsten Erdbeben mit den großflächigsten Auswirkungen, das China seit 1949, dem Jahr der Staatsgründung, erlebt habe. Nach Meldungen der Xinhua gehen die Behörden in China mittlerweise von mindestens 21.500 Toten aus; weitere 14.000 Menschen gelten als vermisst beziehungsweise verschüttet. Schätzungen des nationalen Rettungszentrums zufolge könnte die Zahl der Toten jedoch 50.000 bereits übersteigen.

Mehr als 100.000 Soldaten der chinesischen Volksarmee sind in die Region gebracht worden. China hat zwar japanischen und taiwanischen Hilfsmannschaften den Zugang ermöglicht, lehnte aber bislang Hilfsangebote aus Australien und Südkorea aufgrund von „Kommunikations- und Transportproblemen“ ab.

Als großes Hindernis erweisen sich die durch Erdrutsche und Steinschlag unterbrochenen Straßen. Am Mittwoch, den 14. Mai sind deswegen Fallschirmjäger über den bislang unzugänglichen Gebieten abgesprungen, und ein Großteil von Hilfsgütern wird von Flugzeugen abgeworfen. Ministerpräsident Wen Jiabao hat weitere 30.000 Soldaten, Hubschrauber und Transportflugzeuge in die Region beordert. Es handelt sich nach chinesischen Angaben um den größten humanitären Einsatz des Militärs seit Gründung der Volksrepublik 1949.

Viele Gebäude sind schwer beschädigt…
Foto: old bacon

Über die Anzahl der Opfer gibt es noch keine gesicherten Angaben. Bestätigt wurden bislang 20.000 Tote, Xinhua meldete jedoch unter Berufung auf den Krisenstab, dass wohl mindesten 50.000 Menschen durch die Erdbebenkatastrophe ums Leben gekommen sind. Die Beurteilung ist schwierig, da teilweise zu Siedlungen mit zehntausenden von Einwohnern noch kein Kontakt hergestellt werden konnte, sodass die Situation vor Ort unbekannt ist. Auch die Zahl der Verletzten ist immens; mehr als 65.000 Menschen wurden verletzt, meldete Xinhua.

Unter den Trümmern sind noch Zehntausende verschüttet. Ihre Überlebenschancen schwinden von Stunde zu Stunde. Regen erschwert die Arbeit der Retter, die teilweise mangels Gerätes mit bloßen Händen im Schutt nach Überlebenden graben.

… oder völlig zerstört
Foto: old bacon

Viele der Orte unmittelbar um das Epizentrum sind vollständig zerstört. In Yingxiu starben von zuvor rund 10.000 Einwohnern durch die Erdstöße mehr als 7.700, und etwa die Hälfte der Überlebenden wurde schwer verletzt. Dass die elfjährige Zhang Chunmei nach 68 Stunden aus den Trümmern ihrer Schule in Dujiangyan gerettet werden konnte, gilt fast als Wunder. Drei Tage, so Katastrophenhelfer, sind die übliche Zeit, die Menschen ohne Wasser überstehen.

Aus dem Gebiet, das ein beliebtes Reiseziel ist, wurden etwa 2.000 Touristen ausgeflogen, etwa 700 davon aus dem Ausland. Die Route des Olympischen Fackellaufes soll jedoch wie geplant in einem Monat durch Sichuan führen, auch um der Opfer zu gedenken.

Zu einem Problem haben sich unterdessen die zahlreichen Stauseen in der Bergregion entwickelt. Ersten Überprüfungen zufolge sind an 410 Staudämmen in Sichuan und vier benachbarter Provinzen Schäden aufgetreten. Das staatliche Fernsehen berichtete, dass darunter auch „zwei wichtige“ seien, nannte aber keine Einzelheiten. Unmittelbar nach dem Beben hieß es am Montag, den 12. Mai, der Drei-Schluchten-Staudamm sei nicht betroffen. Gemeldet wurde, dass der Kuzhu-Damm Risse hat, durch die Wasser dringt. Am Zijinpu-Damm wird durch das Öffnen der Fluttore der Wasserstand gesenkt, um Druck von der Staumauer zu nehmen. Im Kreis Maoxian evakuierten die Behörden vorsichtshalber Gebiete unterhalb von zwei Staudämmen. Aufgrund des hohen chinesischen Energiebedarfs gibt es in der Katastrophenregion zahlreiche Wasserkraftwerke, 2005 waren es nur in der Provinz Sichuan mehr als 6.000 Staudämme, so der chinesische Geologe Zhang Yong.

Im Tal des Jianjiang-Fluss hat flussaufwärts von Beichuan ein Erdrutsch das Tal blockiert und staut das Flusswasser zu einem See auf. Wenn die Barriere nicht hält, bis die Rettungsarbeiten beendet sind, sind Retter und die noch Verschütteten durch eine Flutwelle bedroht.

Angesichts von 6.898 eingestürzten Schulgebäuden in China, unter denen tausende Schulkinder begraben wurden, wird zunehmend Kritik an den chinesischen Behörden laut, die für die Bauunterhaltung verantwortlich sind. Ein Abteilungsleiter des Bildungsministeriums erklärte: „Wenn es Qualitätsprobleme in den Schulgebäuden gegeben hat, werden wir die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen und der Öffentlichkeit eine zufriedenstellende Antwort geben.“

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Quellen